holen; der Augenblick ist gekommen; sprich, nimmst du mein Opfer an?“
Es war keine Zeit mehr, die Täuschung aufrecht zu erhalten. Raymon war wütend, sich in seiner eigenen Schlinge gefangen zu sehen.
„Du bist wahnsinnig!“ rief er, sich in seinen Lehnstuhl werfend. „In welchem Roman für Kammerzofen hast du deine gesellschaftlichen Studien gemacht?“
Er schwieg, da er fühlte, er sei zu ungestüm.
Indiana war ruhig, wie jemand, der sich auf das Schlimmste gefaßt macht.
„Fahre fort,“ sagte sie, ihre Arme über ihrer Brust kreuzend.
„Nie, nie werde ich solche Opfer annehmen!“ rief Raymon, sich lebhaft erhebend. „Als ich dir sagte, Indiana, daß ich die Kraft dazu haben würde, habe ich mich selbst verleumdet; denn nur ein Nichtswürdiger kann seine Hand dazu bieten, die Frau, welche er liebt, der Schande preiszugeben. Bei deiner Unbekanntschaft mit der Welt hast du die Folgen eines solchen Schrittes nicht erwogen. Könntest du, einfaches, unwissendes Weib, mich noch lieben, wenn ich deinen Ruf, dein Leben meinem Vergnügen opfern wollte?“
„Du widersprichst dir selbst,“ sagte Indiana. „Wenn ich dich glücklich mache, indem ich dir ganz angehöre, was fürchtest du die öffentliche Meinung? Liegt dir mehr an ihr, als an mir?“
„Ach, nicht meinetwegen lege ich einen Wert darauf.“
„Also meinetwegen? Ich habe diese Bedenklichkeiten vorausgesehen, und um dich vor jedem Vorwurf zu schützen, habe ich den entscheidenden Schritt selbst getan und es nicht erst darauf ankommen lassen, von dir entführt zu werden. Dich kann also kein Vorwurf treffen. In diesem Augenblick, Raymon, bin ich bereits entehrt; obgleich der erwachende Tag meine Stirn so rein findet, als sie es gestern war, so bin ich jetzt doch in der öffentlichen Meinung ein verlorenes Weib. Das alles habe ich erwogen, ehe ich handelte.“
George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)