Poesie arbeiten sollten, ist diese, daß sich der Geschmack der Dichtkunst und Beredsamkeit in unserm Jahrhunderte sehr geändert hat. Vieles ist in der Sprache unsrer Väter, in ihrer Art zu denken, erlaubt, gebräuchlich und unanstößig gewesen, das es in unsern Tagen nicht mehr ist. Alle lebende Sprachen haben das Schicksal, daß sie sich ändern, wenn gleich nicht stets verbessern; daß Wörter veralten und ihren Werth verlieren, neue aufkommen und einen Werth erhalten, wenn er auch nur willkührlich seyn sollte. Endlich, wenn die Sitten feiner werden, so bekommen wir an einer nachlässigen, ungewählten und platten Schreibart einen Eckel. Dieser Eckel erstreckt sich auch auf die Schreibart in den Werken der Religion; und wir fangen an, oft die Uebungen der Andacht geringe zu schätzen, oder zu verachten,
Christian Fürchtegott Gellert: Geistliche Oden und Lieder. in der Weidmannischen Handlung, Leipzig 1757, Seite IX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geistliche_Oden_und_Lieder-Gellert.djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)