angerichtet, als viele Arbeiter bei Staatshilfe an den Gegenwartsstaat und nicht an die Selbstverwaltung denken. Ahr glaubt, der Anschluß an die demokratische Volkspartei, wie Jacoby ihn plane, sei für den politisch reifen Arbeiter unbedenklich, aber noch nicht alle Arbeiter seien politisch hinreichend gebildet, und für diese sei es notwendig, daß sie erst durch die Agitation für die ihnen näherliegenden sozialen Bestrebungen zum Bewußtsein ihrer Klasse gebracht werden. Auch Scheil ist der Meinung, daß zwar Jacoby ein wahrer Demokrat sei; die Arbeiter hätten aber zunächst alle ihre Kraft auf die soziale Frage zu konzentrieren, zwar hätten sie nicht nur eine Teilung des Produktionsertrages unter die Unternehmer und die Arbeiter zu erstreben, sondern ihnen gebühre der volle Arbeitsertrag. Der Steindrucker Krause glaubt nicht, daß Jacoby mit der Teilung des Produktionsertrages dasselbe wolle wie Lassalle; ihm erscheint die Volkspartei Jacobys als eine Bourgeoispartei, mit der man nur in politischen Fragen zusammengehen kann. Ähnlich erklärten sich Siegusch und Bräuer, während der Handlungsgehilfe Hugo Friedländer für Jacoby eintrat und sogar den Antrag stellte, die Versammlung möge dem Programme Jacobys ihre Zustimmung geben.
Dieser Antrag wurde abgelehnt und für Breslau war damit die Jacobysche Richtung endgültig erledigt. Dafür setzten bald die großen Gärungsprozesse, denen um diese Zeit die ganze deutsche Arbeiterbewegung unterworfen war, auch hier in Breslau ein, wenn sie auch nicht so offen zutage traten wie vor allem in Sachsen.
Der 31. August hatte die Anhänger sozialistischer Ideen noch in völliger Eintracht zu einer erhebenden Lassalle-Gedächtnisfeier vereinigt. Mit Jubel wurde hierbei ein Begrüßungstelegramm des Allgemeinen Arbeitervereins in Hamburg aufgenommen, wo wenige Tage vorher die Generalversammlung der Anhänger Schweitzers stattgefunden hatte, auf der auch Breslau vertreten gewesen war.
Am 7. September erging das später umgestoßene freisprechende Urteil gegen die Breslauer Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, durch das die vorläufige polizeiliche Schließung aufgehoben wurde. Trotzdem tat sich die hiesige Filiale des Vereins nicht wieder auf. Da nämlich am 16. September in Leipzig durch die dortige Polizei der Verein geschlossen worden war, ordnete Schweitzer die sofortige Auflösung des Gesamtvereins an, um sich so die Möglichkeit der Wiedereröffnung unter anderer Form zu sichern.
Um diese Zeit setzte eine andere Seite der modernen Arbeiterbewegung in Deutschland ein: die gewerkschaftliche. In der Hamburger Generalversammlung hatte sich bekanntlich die Mehrheit zwar für die Anwendung des Streiks als Kampfesmittel, aber merkwürdigerweise gegen die Organisierung dieses Kampfmittels durch die Gewerkschaft erklärt. Diese Inkonsequenz bewog Schweitzer und Fritzsche, in ihrer Eigenschaft als Reichstagsabgeordnete für den 27. September einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß nach Berlin einzuberufen, der sich mit der Gründung von gewerkschaftlichen Vereinigungen befassen sollte.
Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil. Sozialdemokratischer Verein Breslau, Breslau 1915, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-aus-Mueller_(1915).djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)