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Seite:Friedlaender-aus-Mueller (1915).djvu/10

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Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil

Volksversammlung ein. Hier sprachen die Vertreter aller Richtungen. Dann erklärte sich die Versammlung mit den vorbereitenden Schritten des Komitees einverstanden und bildete aus den Vertretern der drei Richtungen Scheil, Ahr und Thomas eine Streikkommission mit dem Auftrage, Geld, Lebensmittel und Kleidungsstücke für die Ausständigen zu sammeln und nach Waldenburg abzuführen. Die Kommission trat bald in Tätigkeit und tagte während der Dauer des Streiks jeden Abend im „Bergel“ auf der Junkernstraße.

So ging das Jahr 1869 zu Ende, das den Breslauer Sozialdemokraten auch die erste Verurteilung eines der Ihren wegen „Aufreizung zum Ungehorsam und Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen“ gebracht hatte. Das Opfer war der junge Handlungsgehilfe Hugo Friedländer. In einer Versammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins hatte er als Leiter derselben einen Artikel aus dem „Sozialdemokrat“ über die Arbeiterunruhen in Essen und die von der Polizei getroffenen Maßnahmen sowie eine im Abgeordnetenhause zu dieser Sache abgegebene Erklärung des Ministers zur Vorlesung gebracht. Nach der Anzeige des überwachenden und die Versammlung auflösenden Beamten soll er dazu geäußert haben: „Hiernach scheint es, als ob die Regierung die Revolution provozieren will.“ Obgleich die Entlastungszeugen erklärten, die Äußerung habe gelautet: „Wenn hiernach die Regierung die Revolution zu provozieren scheint ....“ und obgleich Friedländer versicherte, nur durch die vorzeitige Auflösung verhindert worden zu sein, den seinen Worten jeden kriminellen Sinn nehmenden Nachsatz auszusprechen, wurde er doch für schuldig befunden, „die Anordnungen der Obrigkeit öffentlich dem Hasse und der Verachtung ausgesetzt“ zu haben und zu 15 Taler Strafe verurteilt. Die „Breslauer Morgenzeitung“ ließ es sich nicht nehmen, ihren Bericht über den Prozeß mit hämischen, ja scharfmacherischen und denunziatorischen Glossen zu versehen.

Forderte im Anfang des Jahres 1870 auch die Fortdauer des schließlich mit einer Niederlage endenden Bergarbeiterstreiks das Zusammengehen der beiden sozialistischen Gruppen in Breslau, so nahmen doch zugleich die inneren Auseinandersetzungen ihren weiteren Fortgang, wobei das Übergewicht mehr und mehr auf die Seite der internationalen Richtung fiel. Während der Sozialdemokratische Arbeiterverein, in dessen Vorstand Ahr, Herforth, Koch, Oehme und Zapke saßen, unentwegt an seinem Programm und seiner Organisation weiterbaute, und z. B. bereits am ersten Tage des neuen Jahres zu diesen Zwecke im „Kasinosaale“ eine öffentliche Versammlung veranstaltete, machte die Krise in der Mitgliedschaft des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins solche Fortschritte, daß Scheil nicht nur das seit der Gründung innegehabte Amt des Bevollmächtigten an Kräcker abtrat, sondern sogar in aller Öffentlichkeit Stellung gegen Dr. von Schweitzer nahm und auch außerhalb Breslaus, so in Langenbielau, gegen die Wiederwahl Schweitzers zum Vereinspräsidenten agitierte.

Überhaupt erfaßte der Umschwung zu ungunsten Schweitzers immer mehr Breslauer Lassalleaner, und dieser Umstand trug dazu bei, für

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Müller: Die Geschichte der Breslauer Arbeiter-Bewegung. Erster Teil. Sozialdemokratischer Verein Breslau, Breslau 1915, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-aus-Mueller_(1915).djvu/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)