Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1 | |
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„Ende der siebziger Jahre stand Berlin gewissermaßen unter einem Blutbann“, so drückte sich Staatsanwalt Dr. Otto im Prozeß Dieckhoff im Plädoyer aus. Es wurden zu dieser Zeit eine Anzahl Raubmorde begangen, die bis heute noch nicht gesühnt sind.
Im Jahre 1876 wurde eines Sonntags abends die schon ziemlich betagte Witwe Lissauer in ihrer in der Dresdener Straße belegenen Wohnung tot aufgefunden. Die alte Frau war noch in der Dämmerstunde im Garten gesehen worden. Kurz vor 10 Uhr abends begab sich Frau Lissauer in ihre Wohnung. Sie konnte diese kaum betreten haben, da nahmen Nachbarsleute wahr, daß die Fenster der Lissauerschen Wohnung geschlossen wurden. Einige Leute wollten auch einen Mann gesehen haben, der die Fenster geschlossen hatte. Frau Lissauer war kinderlos und wohnte allein. Des Nachts schlief ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft bei ihr. Kurz nach 10 Uhr klingelte dieses Mädchen in der Lissauerschen Wohnung, es wurde ihm aber nicht geöffnet. Dies fiel ihm aber nicht weiter auf, weil die alte Frau es öfters hatte vergeblich klingeln lassen. Das Mädchen ging in die elterliche Wohnung zurück.
Als aber die alte Frau auch am folgenden Tage trotz allen Klingelns nicht öffnete, wurde die Polizei benachrichtigt. Diese ließ die Wohnung von einem Schlosser öffnen. Im Korridor lag Frau Lissauer, mit einem Knebel im Munde, entseelt. Ihre lederne
Hugo Friedländer: Kulturhistorische Kriminal-Prozesse der letzten vierzig Jahre, Band 1. Continent, Berlin 1908, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Kulturhistorische_Kriminal-Prozesse-Band_1_(1908).djvu/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)