Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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zeigte letztere dem Naumow. Die Gräfin war ungemein erregt über das Telegramm und verlangte, daß Naumow ihr Genugtuung verschaffe. Dieser erklärte: er werde den Grafen fordern. Die Gräfin bemerkte ihm jedoch, daß ihr das nicht genüge, das Duell sei etwas Unsicheres, sie werde nicht eher ruhen, bis Graf Komarowski beseitigt sei. Wenn er, Naumow, nicht den Mut habe, ihre Ehre zu rächen, dann würden andere dazu bereit sein. Naumow hatte wohl der Gräfin am Grabe seiner Mutter geschworen, daß er sein ganzes Leben ihr weihe. Diesen Schwur mußte er am Grabe ihres früheren Geliebten, des Barons Stahl, der sich ihretwegen getötet hatte, wiederholen. Die Gräfin erzählte außerdem dem Naumow: Sie werde von dem Grafen Komarowski arg bedrängt. Sie werde schließlich den Grafen, den sie nicht ausstehen könne, heiraten müssen, wenn es ihr nicht bald gelingen sollte, ihn aus der Welt zu schaffen. Naumow stand wohl derartig im Bann der Gräfin, daß er bereit gewesen wäre, für sie zu sterben, allein er hatte noch soviel sittliches Gefühl, um sich nicht als Mörder dingen zu lassen. Die Gräfin hatte sich aber vorgenommen, ihren Willen durchzuführen. Sie hatte ja bereits mehrere Menschenleben auf dem Gewissen. Es ist nur ein Opfer mehr, dachte sie. Und wenn dieser Mann beseitigt ist, dann komme ich in den Besitz eines unermeßlichen Vermögens. Wozu bin ich die von der ganzen Männerwelt angebetete schöne Gräfin, der alle Männer zu Füßen liegen? So schwirrte es durch den Kopf der Gräfin. Sie wußte schließlich den willensschwachen jungen Naumow zu bewegen, mit ihr und Prilukow nach Wien zu fahren. Hier an den Ufern der schönen blauen Donau setzte sie ihre Suggestionskünste noch einmal in volle Tätigkeit. Und – es gelang ihr in der Tat, den jungen Studenten zu bewegen, ihr zuliebe zum Mörder zu werden. Naumow fuhr in Begleitung von Prilukow nach Venedig. Am 3. September 1907 traf er in Venedig ein. Er wartete bis Mitternacht vor dem Hause des Grafen Komarowski. Da er
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/21&oldid=- (Version vom 25.12.2022)