Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3 | |
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fahrlässige Körperverletzung. Mord kann komplottmäßig begangen werden, die Motive sind alsdann entweder die gewöhnlichen, oder ganz außergewöhnliche, und es ist ja auch bei den Verhandlungen wiederholt von rituellen Gründen gesprochen worden. Was den Ritualmord anbetrifft, so ist im Prozeß zu Xanten eingehend und nach allen Richtungen über dieses Thema gesprochen worden. Bekannt ist es zunächst, daß in den jüdischen Religionslehren kein Wort über den Ritualmord steht; auch Kardinal-Fürstbischof Kopp teilt diese Überzeugung der gelehrten Welt. Hatte man zunächst die Idee, daß fremde Juden die Tat verübt haben könnten, so ließ sich hierfür kein Beweis erbringen. Freilich gab es in Konitz jüdische Personen, die für die Tat hätten in Betracht kommen können. Aber obgleich alle Spuren auf das genaueste verfolgt worden sind, und obgleich auch ganz geringfügige Momente hierbei nicht außer acht gelassen wurden, so gibt es doch gar keinen Anhalt dafür, daß die Familie Lewy mit irgend jemand von diesen Leuten in Verkehr getreten ist. – Der Oberstaatsanwalt ging alsdann die Bekundungen einzelner Zeugen durch. Wenn Rosa Siwanowski, die schon während ihrer Schulzeit auf Abwege geraten ist, erzählte, daß auch sie Angst vor den Juden hatte, und daß man ihr Blut habe abzapfen wollen, so kann man hierauf doch unmöglich etwas geben. Wenn der Knecht Leskowski von seinen angeblichen Beobachtungen bei Lewys am 11. März erzählt, wie er alle möglichen Äußerungen gehört haben will, so die Worte: „Leine, Leine, Fessel, Fessel, Mönchsee, viel zu tun, zu weiß, zu weiß,“ so sind doch auch diese Angaben nicht ernst zu nehmen. Die Vorgänge im Laden der Familie Meyer müssen gleichfalls als unwahr erscheinen, und dies um so mehr, da sie zu drei verschiedenen Zeiten stattgefunden haben sollten, und die Familie doch wahrlich keine Veranlassung hatte, sich mit dem Blut des 18jährigen Gymnasiasten zu besudeln. Wenn man dies alles nachprüft, so wird man finden, daß man den Versuch
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/119&oldid=- (Version vom 12.2.2023)