Präsident: Herr Kreisphysikus Dr. Bauer! Behaupten Sie mit Bestimmtheit, daß die Durchschneidung des Halses mit dem Messer Nr. 13 vorgenommen ist?
Dr. Bauer: Keineswegs, ich behaupte nur, daß dieses Messer geeignet ist, die vorgefundenen Verletzungen herbeizuführen.
Es wird hierauf das Mitglied des Medizinal-Kollegiums, Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer (Koblenz) vernommen.
Dieser bekundet: Das Medizinal-Kollegium der Rheinprovinz habe sehr eingehende Versuche vorgenommen und festgestellt, daß das vorgefundene Blut der Menge entsprach, die der Ermordete angesichts der Verletzung verloren haben müsse. Das Medizinal-Kollegium habe die Ueberzeugung, daß die That am Fundorte geschehen sei. Die That sei anscheinend von einem Menschen ausgeführt worden, der in der Messerführung nicht geübt sei. Für die Ungeschicklichkeit des Thäters im Messerführen spreche auch der Umstand, daß die Kleider des Kindes zum Theil durchschnitten waren.
Präs.: Sind Sie der Meinung, daß der Schnitt ein Schächtschnitt gewesen ist?
Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer: Das Medizinal-Kollegium hat nach dieser Seite genaue Erhebungen angestellt und auch nicht den geringsten Anhalt dafür gefunden. Beim Schächtschnitt ist es Vorschrift, daß das Messer senkrecht angesetzt wird, während der Thäter das Messer schräg eingesetzt hat. Auch alle anderen Vorschriften, die beim Schächtschnitt zu beobachten sind, waren nicht zu konstatiren.
Präs.: Herr Medizinalrath, es dürfte Ihnen bekannt sein, daß behauptet worden ist, es liege ein Ritualmord vor. Meine Herren Geschworenen, Sie werden zweifellos auch gehört haben, daß behauptet worden ist: Die Juden brauchen zu ihren religiösen Festen Christenblut, und aus diesem Anlaß sei der Mord geschehen. Herr Medizinalrath, liegen für die Möglichkeit eines Ritualmordes irgendwelche Anhaltspunkte vor? – Sachverständiger: Dafür liegen absolut keine Anhaltspunkte vor. – Präs.: Herr Kreisphysikus Dr. Bauer und Herr Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff, haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß ein Ritualmord vorliegt?
Die Gerichtsärzte antworten übereinstimmend, daß absolut keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Ritualmordes vorliegen.
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)