Ich habe nicht nothwendig, Ihnen noch eine Schilderung von dem Angeklagten zu geben, er dürfte Ihnen durch die 10tägige Verhandlung hinlänglich bekannt geworden sein. Ich will Sie blos an den wahrhaft dramatischen Vorgang mit dem Sack erinnern. Ich muß gestehen, als der Sack mit den rothbraunen Flecken dem Angeklagten vorgelegt wurde, da glaubte ich fast selbst, es könnten irgendwelche Anhaltspunkte für die Schuld des Angeklagten festgestellt werden. Allein Sie erinnern sich, mit welcher Unbefangenheit der Angeklagte vortrat und auf die Frage des Präsidenten, wie er die rothbraunen Flecke an dem Sack erkläre, die natürlichste Antwort von der Welt gab: er habe den Sack bei der Fleischräucherung benutzt und die verdächtigen Flecken seien Rauchflecken. Aber außerdem ist doch auch der Lebenswandel des Angeklagten in Betracht zu ziehen. Sie haben gehört, daß Buschhoff aus Anlaß des Sterbetages seines Vaters des Morgens und Abends in die Synagoge ging, daß er dieses Sterbetages wegen bis Mittag fastete, daß er, ehe er sich mit seiner Familie zu Tische setzte, betete. Jemand, der so pietätvoll seiner verstorbenen Eltern gedenkt und als Lohn dafür die Liebe seiner Kinder erweckt, ist nicht das Holz, aus dem Mörder geschnitzt werden. Der Vertheidiger geht noch des Näheren auf die Bekundungen des Zeugen Mölders ein und sucht den Nachweis zu führen, daß die große Erregung in Xanten die Leute zu einer fixen Idee geführt hat, an die sie selbst glaubten. Ebenso sei es dem Mölders ergangen, dieser habe sich förmlich eingeredet, daß er das Hineinziehen des Kindes gesehen habe, während er in Wirklichkeit vielleicht gesehen, wie das Ullenboom’sche Kind in das Buschhoff’sche Haus gezogen worden sei. Dafür spreche auch der Umstand, daß Mölders so spät mit seiner Wahrnehmung hervortrat. Aehnlich verhalte es sich mit der Bekundung des Knaben Heister. So aufgeweckt dieser Knabe auch sein möge, so habe dieser zweifellos ebenfalls unter dem Druck der allgemeinen Erregung und auch erst einige Zeit nach dem Morde seine Wahrnehmungen mitgetheilt. Der Vertheidiger geht noch näher auf die Beweisaufnahme ein und schließt mit den Worten: Ich theile nicht die Hoffnung des Herrn Staatsanwalts, daß nach Schluß dieser Verhandlung die Hetze beendet sein wird, wir werden aber nach Abgabe Ihres Wahrspruches sagen können: Die Wahrheit hat gesiegt!
Verth. Rechtsanwalt Fleischhauer (Cleve): Es
Hugo Friedländer: Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892. W. Startz, 1892 Cleve, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Der_Knabenmord_in_Xanten_(1892).djvu/139&oldid=- (Version vom 1.8.2018)