Es zog von dannen der wilde,
Gefürchtete Heinz von Stein,
Er zog von dannen und kehrte
In einem Wirthshaus ein.
Und herrschte: „Bringt mir Wein!“
Husch lief mit Glas und Flasche
Des Wirthes Töchterlein.
Da ward ihm acht so wehe -
Wie wär’s, gäbst du ein Küßchen
Dem tapfern Heinz von Stein?“
Sie sagte: „Wollt Ihr ein Küßchen
Von einem Mädel fein,
Ein hübscher Junge sein.“
Das wurmte den Ritter sehre
In seinem Herzen drein;
Er grollte: „Was bin ich schuldig
Drauf ritt er trotzig heime
Und kehrte nimmer ein:
Das ist die schaurige Mähre
Vom wilden Heinz von Stein.
Ja, ein Wolf ist ein gefährliches, wildes, grausames Thier, dem ich um Alles in der Welt nicht begegnen möchte. Und doch wäre eine solche Begegnung selbst in unserm civilisirten mit Eisenbahnen und Chausseen durchschnittenen, waldarmen Lande nicht unmöglich. Hat nicht erst vor fünf oder sechs Jahren ein vierzehnjähriger Knabe in Schwaben einen Wolf erschossen, der jetzt in Stuttgart im Naturalienkabinet ausgestopft hinter Glas und Rahm steht? Und hat sich nicht vor Kurzem eine solche grausame Bestie in der Vilip sehen lassen? Der Jägerbursche, der mir davon erzählt, hat das Thier zwar nicht selbst erblickt, aber aus glaubwürdigem Munde es erfahren; und ein Fräulein, das einen einsamen Spaziergang dem Alpbach bei Tegernsee entlang gemacht, hat zu ihrem nicht geringen Schrecken am hellen lichten Tage den Raubgesellen über den Berg laufen sehen. ,,Aber um Gotteswillen!“ sagt der Herr Pathe Zobelmeyer, „so ist man denn im Gebirg seines Lebens kaum sicher? Was fange ich an, um sicher zu sein, wenn ich nächstes Jahr mein großes Reiseprojekt ausführe? Mit Schießgewehr lasse ich mich nicht ein, das fürchte ich noch mehr als selbst den Wolf!“ Verehrter Herr Pathe, es muß nicht gerade Schießgewehr sein, das Sie schützt; Geistesgegenwart, Geistesgegenwart, das ist die Hauptsache. Verliert man die nicht, so müßte es ganz curios zugehen, wenn man solch einer Bestie, und sei sie noch so flink, nicht entrinnen könnte. Man muß vor der Gefahr nicht erschrecken, aus der Umgebung Vortheil ziehen, und behend in der Benutzung des Rettungsmittels sein. Wer Geistesgegenwart besitzt, dem fällt sicher ein guter Gedanke bei, seien die Umstände noch so drohend; der ihn sichert. Es fällt mir da eine merkwürdige Geschichte ein, die ich Ihnen als Beweis meiner Behauptung mittheilen will. Sie werden dieselbe umso weniger bezweifeln, da sie mir Herr Förster Dreihaar, dem sie passiert, selbst erzählt hat.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/144&oldid=- (Version vom 12.10.2022)