Wäldern und Gebirgen auf harmlose Kaufleute lauerte, und lehnte sich an den Kasten neben der Thüre, die zur Stiege hinausführte, aus der die Muthwilligen herauskommen mußten. Vergebens beschwor ihn die Frau, abzustehen von seinem Vorhaben, umsonst bat und weinte heute das Töchterlein; der kleine Mann blieb unbeweglich; er wollte einmal fest auftreten, um zu zeigen wer und was er sei.
Wie die Spinne in des Gewebes dunkelstem Winkel verborgen lauert, so das Männlein mit den stahlgrauen Haaren. Heute durfte kein Licht das Zimmer erhellen, damit ja kein Verdacht bei den Studenten rege würde, als ob er lauere, und sie um so sicherer in die Schlinge gingen; Frau und Tochter mußten in’s Bette, um ja nicht zu hindern, und selbst der kleine zottige Schooshund mußte mit, um nicht durch voreiliges Gebell den wohlerwogenen Plan zu vereiteln Mit bleischweren Füßen schritten die trägen Stunden am Lauernden vorüber; die Christenheit war längst aus der mitternächtlichen Andacht heimgekehrt in's trauliche Stübchen, oder zu Bette gekrochen, und noch stand der Held auf seinem Posten, noch kamen die Polterer nicht. Der schwere Säbel drückte die Achseln, und die Muskete wurde von Stunde zu Stunde schwerer; weglegen oder hinlehnen durfte er sie nicht; denn wie leicht konnten die losen Vögel gerade kommen, und in der Hast und Eile und Finsterniß und Verworrenheit möchte sie nicht gleich zu finden sein. Er nahm sie bald unter den linken, bald unter den rechten Arm, stand bald auf dem bald auf dem andern Fuß, indem er sich nicht zu setzen getraute, da nach seinem besten Wissen die Helden seiner Lieblingsbücher sich auf der Wache auch nicht setzten; aber das vertrieb die Langweil ihm nicht. Stunde an Stunde schlich vorüber, der Schlaf drückte die schweren Augenlider, Mattigkeit zerrte an allen Knochen, das Gewissen begann in unheimlicher Sprache mit dem Schneiderlein zu flüstern und es ward der Geist eines wirklichen Helden erfordert, auf diesem Posten auszuhalten Von Zeit zu Zeit rief die schlaflose Ehehälfte: „Komm lieber Mann, leg dich zu Bette, du erkältest dich,“ erhielt aber keine Antwort; „Vater, lieber Vater,“ ächzte des Töchterleins melancholische Stimme aus dem stillen Kämmerlein, „geh zu Bette, du bekommst Husten und Fieber; ich bitte, leg dich nieder! Hu! wie kalt da draußen!“ Aber es folgte keine Antwort.
„Endlich erscholl ein Getümmel von der Straße, die Hausthür knarrt; und ein Geräusche ließ sich unten an der Stiege vernehmen; dann aber war Alles so still und ruhig wie zuvor"
„Daß die Pest!“ murmelte der Schneider vor sich hin; „der Plan muß verrathen worden sein; sie schleichen ganz still die Stiege herauf;" aber kaum hatte er dies gemurmelt, erhob sich vor seiner Thüre ein Getrampel, Gestampse und Gepolter mit Füßen und Stöcken, ein Gebrüll und Pfeifen und Schreien, wie wenn eine Legion Tollhäusler draußen rumorten. Meckmeckmeh! Meckmeh!“ gellte es gräßlich herein, und rief den Helden aus seiner anfänglichen Betäubung zu sich. „Ihr Lumpenkerle!“ schrie er hinaus zur geöffneten Thüre, und streckte die Muskete vor sich kluger Weise hinaus und drückte mit zitternder Hand und geschlossenen Augen los. Zu seiner großen Verwunderung hörte er keinen Knall, und spannte hastig den Hahn, drückte wieder mit geschlossenen Augen los, und sieh! ein heller Blitz durchzuckte das Dunkel zu nicht geringem Schrecken des Männleins und der Studenten.
„Flieht!“ schrieen alle zusammen, „er hat ein Gewehr!“ und rannten die Stiege hinauf; aber wie das Wetter stürmte der Mann im Biber nach, mit lautem Feldgeschrei sich anfeuernd und die Muskete zur Vorsicht voraus streckend.
"Jesus, Maria!" schrie mit einemmale eine Stimme, „ich bin erstochen; ich stürze, ich falle" Es war der Poet, und die
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übrigen waren der lange Hans, der lustige Zeisig, Bruder Schlick, und einige Mitkonsorten. Der Schneider hatte im Dunkel und in seinem wüthigen Heldenmuth den armen Thomas ganz von ungefähr mit dem Bajonette in den Schenkel gestochen, und der war voll Schrecken umgefallen.
„Licht her! Licht her! der Schneider ist toll!“ schrie man oben, während von unten Heulen und Schreien in feierlichem Chore antwortete. Mit ihren Stöcken hielten die Polterer die Thüre besetzt, und als das Licht die Finsterniß verjagt hatte, sahen sie nur Thomas Knappauf am Boden liegen mit geschlossenen Augen, der auf ihr Schütteln und Rütteln endlich zum Leben kam, und als sie nach seiner Wunde fragten, mit weinerlicher Stimme nach dem Schenkel wies, wo denn freilich eine kleine Wunde das mürbgesessene Beinkleid geröthet hatte; der Held aber war längst die Stiege hinabgerannt in sein Stübchen, wo ihm Weib und Kind schreiend und heulend entgegen kamen; denn sie hatten mit Schaudern des Poeten Angstschrei: „ich bin erstochen!“ vernommen, und glaubte, er sei in der That erstochen worden.
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/142&oldid=- (Version vom 26.10.2021)