Weg nahm. Mit Staunen und halbem Schrecken vernahm er rauhe Stimmen, lautschreiend bald und bald in dumpfen Baßtönen singend, vermischt mit dem Klange aneinandergestoßener Gläser und Krüge und wunderseltsamen Toasten. Hier ist keine so große Gefahr mehr für dich, dachte bei sich der Poet und legte sein Ohr an die verschlossene Thür, ohne sich an das Sprüchwörtlein von der Schule her zu erinnern: „Schäm dich des Horchens an der Wand, es bringt dir nur Verdruß und Schand“; aber so sehr er auch seine Ohren anstrengte, vernahm er doch nur ein verworrenes Gemurmel, das ihm fast noch unheimlicher vorkam, als die Verabredung der beiden Cadaverlieferanten. Schon war er entschlossen, stille, wie er gekommen war, sich wieder zur Thüre hinauszuschleichen und nach Haus zu eilen, wenn die Fürchterlichen nicht draußen auf ihn warteten; doch es sollte anders gehen.
Durch die Thüre, welche der Poet bei seiner eiligen Flucht angelehnt hatte, kam Jemand herein und schritt raschen Ganges auf ihn zu, der vor Angst und Bestürzung nicht wußte, sollte er um Hülfe rufen oder fliehen oder sich zur Wehre setzen. „Erbarmen! Erbarmen!“ rief er jammernd, indem er glaubte, es wären seine Verfolger; „ich bin ein armer Mensch und habe nichts als mein elendes Leben! o ich bitte, laßt mir mein Leben! nur mein Leben!“
„Wer da!“ donnerte eine Stimme den Bittenden an; „wer bist du, Schurke?“
„Laßt mir nur mein Leben, Herr, ich bitte euch! was nützt es euch, wenn ihr mich todtschlagt?“
„Schweig doch mit deinem Leben, Bestie,“ lachte der Eingetretene; „wer will dir dein Leben nehmen? Sage mir aber erst, wer du bist, oder, wie du da hereinkommst; doch vor allem will ich dich sehen.“ Mit diesen Worten packte er den zitternden Dichter am Kopf und zog ihn mit sich in die Stube, aus welcher das Stimmengemurmel mit den Toasten gedrungen war.
Da saßen an einem mit Krügen und Flaschen und Gläsern dicht bestellten Tische, in einer Wolke von Tabaksrauch mehrere junge Männer von sonderbarem Aussehen. Das düster flackernde Licht warf seinen traurigen Glanz unheimlich in der Stube umher und erhellte zum Theil die Gegenstände, die sich allda befanden. An den Wänden hingen mächtige Haurappiere mit zerfetzen Körben paarweise, abwechselnd, mit Stoßklingen und Drahtvisiren und Bildern, welche Scenen aus dem Leben berühmter famoser Burschen darstellten, oder rühmliche Paukereien und körnige Sentenzen dem Auge veranschaulichten. Auf dem Boden lagen zerrissene Spielkarten, Cigarren, angebrannte Fidibus, Pfeifentrümmer, zerbrochene Klingen, Stuhllehnen und anderes Gerümpel, das daselbst seinen besten Platz hatte. Die Herren selbst waren eigenthümlich in ihrer Tracht, in ihrer Geberdung und Sprache. Lange zottige Bärte deckten Wangen und Kinn, und dichte Locken ringelten sich um den Nacken, der mit einem weißen oder weiß sein sollenden Kragen geziert war. Sie hatten den Flaus abgelegt und saßen in Hemdärmeln da ohne Weste und Halsbinde, mit bloßem Hals und bloßer Brust. Die schweren Reithosen wurden über den Hüften vom einem breiten Gürtel gehalten. Mächtige Sporen klirrten an den Stiefeln und eine langrohrige Tabakspfeife, ähnlich einem feuerspeienden Berglein, spie unaufhörlich Dampf und Qualm, und hüllte ihre Häupter, die mit bunt gerändeten Mützen bedeckt waren, in einen düstern Wolkennimbus.
„Kommst du endlich, Kameel?“ riefen rauhe Stimmen dem Eintretenden entgegen und aller Augen schauten nach der Thüre.
„Wohl!“ entgegnete lachend der neue Ankömmling; „hier bring ich Euch einen Fuchsen mit.“
„Wo hast du doch den Philister da aufgehockt?“ fragte einer verächtlich und blies mit verkrümmten Lippen den Rauch in die Lüfte.
„Der bittet mich, ihm das Leben zu schenken, und nur sein Leben zu schenken, sonst nichts; ich hätte eher gedacht, ich sollte ihm einen Pfennig schenken, aber er will nur sein Leben.“
„Er mag sich mit seinem Leben zum Teufel scheren“, donnerte ein andrer, und maß den armen Poeten von unten bis oben mit blitzenden Augen.
„So red’ jetzt!“ schrie der, welcher den Geängsteten hereingezogen hatte; „ohne Furcht sprich, wie du in dies Haus gekommen und was du von uns hältst, daß du so gar erbärmlich um dein Leben heulst und winselst.“
Mit bebender Stimme erzählte Thomas Knappauf sein bestandenes Abenteuer, seine Flucht und den fürchterlichen Schrecken der ihn überfallen, als der Herr, den sie unter sich den langen Hans nannten, durch den Gang auf ihn zu kam, zum allgemeinen Gelächter.
„Ha!“ lachte der eine mit einer Narbe im Gesicht vom Ohr bis zu den Lippen, die der schwarze Bart ein klein wenig verdeckte: „bist du unter den Eisbären von Grönland und Spitzbergen geboren, oder unter Sibiriens Zobeln erzogen worden, daß du in heutiger Nacht im Freien kampiren willst?“
„Nein! meine geehrten Herrn,“ entgegnete Thomas; „ich bin aus Deutschland; aber eine kleine Ermattung zwang mich zum Niedersitzen, und da bin ich eingeschlafen, weil – da es nicht –“
„Hat wohl der Geselle zu tief ins Gläschen geschaut,“ rief ein Andrer, und trank in langen Zügen ein mächtiges Deckelglas bis auf die Nagelprobe.
„Nein, meine Herrn! ich beschwöre euch bei allem was heilig ist, daß ich seit gestern früh noch nichts getrunken habe!“
„Und sicherlich auch nichts gegessen,“ fiel ihm der lange Hans in die Rede: „Was bist du denn deinem Stand oder Gewerbe nach?“
„Ich – ich bin – ein Dichter,“ sprach Thomas Knappauf wehmüthig.
Kaum war dieses Wort seinen Lippen entflohen, als alle Anwesenden lachend und jubelnd mit den gefüllten Gläsern und Krügen klirrend zusammenstießen, und dem erstaunten Dichter ein höchst tumultvolles Lebehoch brachten.
Wie sollte sich der gutmüthige Jünger des Apollo nun dieß Alles auf einander reimen? Fremde unbekannte Männer brachten seinem Ruhme Toaste aus, und er, dem sie galten, war, dem Tode durch Banditenhand kaum entronnen, dem Hungertod fast verfallen. Glühender Durst verbrannte seine Kehle, vor seinen Augen tanzte das Licht in buntfarbigen Schwingungen, und Tisch und Stuhl und Ofen schauten ihm grinsend unter die Nase. Er fühlte, daß er einer Ohnmacht nahe sei, und mit
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.9.2023)