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Seite:Fliegende Blätter 1.djvu/63

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sie ihm unterwegs gesagt hatten, und so fort. Und wie sie sich beim vollen Becher Weines dergestalt belustigten, sagte er zu ihnen: Seht zu, daß, während ihr mit ihm zu Abend eßt, ihr ihm entweder im Weine oder auf andere Art dieß unversehens beibringen könnt. Es ist ein Opiumpulver, auf das er so fest einschlafen muß, daß er es nicht fühlen würde, prügeltet ihr ihn Stundenlang. Gegen fünf Uhr frage ich wieder nach, und wir besorgen dann das Uebrige.

Die Brüder gingen in das untere Zimmer zum Dicken zurück, aßen mit ihm zu Nacht, als schon drei Uhr vorüber war, und brachten ihm so geschickt den Schlaftrunk bei, daß der bald vom Schlaf überwältigte Dicke die Augen unwillkührlich schloß. Die Beiden sagten zu ihm: Matteo, du scheinst ja vor Müdigkeit umfallen zu wollen? Nun, du hast vorige Nacht wohl wenig schlafen können. Sie schwiegen und erwarteten, was er sagen werde, worauf der Dicke sprach: Ich gestehe euch, daß ich in meinem Leben noch nicht so schlaftrunken gewesen bin; es könnte nicht ärger seyn, hätte ich einen Monat lang kein Bett gesehen. Wie er sich zu entkleiden anfing, war er kaum im Stande, Schuh und Strümpfe auszuziehen und sich niederzulegen, denn er fiel alsbald in tiefen Schlaf und schnarchte wie ein Ratz.



Zur verabredeten Stunde kam Filippo di Ser Brunellesco mit sechs seiner Gefährten zurück, und ging mit ihnen und Matteo's Brüdern in das Zimmer, worin der Dicke lag. Wie sie ihn im festen Schlaf hörten und sahen, nahmen sie ihn auf, luden ihn mit sammt seinen Kleidern in einen Korb, und trugen ihn in sein immer noch ganz leer stehendes Haus, worin zufälliger Weise seine Mutter noch nicht vom Lande zurückgekehrt war. Sie trugen ihn bis zu seinem Bette, legten ihn da hinein, und seine Kleider, wohin er sie gewöhnlich that, wann er schlafen ging, ihn selbst aber kehrten sie mit dem Kopfe dahin, wo er sonst mit den Füßen lag. So wie dieß geschehen war, nahmen sie den an der Wand an einem Haken hängenden Schlüsselbund, begaben sich nach der Werkstätte, schlossen die Thüre auf und traten ein, nahmen alles Handwerksgeräth einzeln vom rechten Ort und warfen es an einen anderen. Die Hobeleisen rissen sie entweder vom Hobel ab, oder drehten den Rücken nach unten, die Schneide nach oben hin; die Hämmer machten sie von den Griffen los und schleuderten das Eisen in eine Ecke, das Holz in die andere; dasselbe geschah mit den Beilen, und auf diese Art kehrten sie im ganzen Laden das Unterste zu oberst um, so daß der Teufel darin gehaust zu haben schien. Sie schlossen darauf die Thüre ordentlich wieder zu, trugen die Schlüssel in die Stube des Dicken zurück, machten auch die Thüre des Hauses zu, und gingen ein Jeder heim, um auszuschlafen. Betäubt von dem Opium schlief der Dicke die ganze Nacht, ohne sich zu rühren. Des anderen Morgens, um die Zeit des Avemaria in Santa Maria del Fiore, hörte die Wirkung des Trankes auf, und er erwachte, als es schon heller Tag war, über das Anschlagen der Glocke. Er öffnete die Augen, warf einen dämmernden Blick über die Stube, erkannte, daß er in seinem eigenen Hause war, rief sich alle ihm kürzlich widerfahrenen Dinge ins Gedächtniß zurück und verfiel in das höchste Erstaunen. Er erinnerte sich, wo er sich am vergangenen Abende niedergelegt hatte und wo er sich damals befand, und mit einem Male war er von Zweifeln bestürmt. Hatte er jenes geträumt, oder träumte er jetzt? Bald schien ihm das eine wahr zu sein, bald das andere. Nach einem herzlichen Stoßseufzer sagte er: Gott helfe mir! sprang aus dem Bette, kleidete sich in der Geschwindigkeit an, raffte die Schlüssel zur Werkstatt auf und rannte dahin. Wie er aufgeschlossen hat, sieht er mit vor Erstaunen offenem Munde die überall herrschende Unordnung. Kein Geräth an rechter Stelle, Alles halb zerbrochen oder verschoben umher gestreut. Und während er instinktmäßig anfängt, es wieder zusammenzulesen und an Ort und Stelle zu thun, kommen die beiden Brüder des Matteo hinzu, und sagen, als sie ihn so beschäftigt sehen, indem sie sich stellten, als kennten sie ihn nicht: Guten Tag, Meister. Der Dicke wendete sich nach ihnen um, veränderte ein wenig die Farbe, als er sie erkannte und sprach: Guten Tag und gutes Jahr; was sucht ihr bei mir? Der eine antwortete: Ich will es dir sagen. Wir haben einen Bruder, der Matteo heißt, und dem es vor einigen Tagen geschah, daß er aus Betrübniß über eine kleine Verhaftnahme den Verstand verlor. Unter andern Faseleien begeht er nun auch die, daß er nicht mehr Matteo, sondern der Meister dieser Werkstätte sein will, der, wie es scheint, den Beinamen der Dicke haben muß. Wir ermahnten ihn viele Male umsonst, sich wieder zu besinnen, und holten in unserer Rathlosigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)