lassen Sie mich eine Erzählung rasch zu Ende bringen, die ich besser nicht begonnen hätte.
Der Hochzeittag kam heran. Die Trauung sollte zuerst in der französischen Kirche zu Pera, sodann nach armenischem Ritus vollzogen werden. Darum mußte Jussuf mit seiner Familie von Scutari herüberkommen. Er hatte das Haus eines seiner Verwandten in Galata zum Versammlungs-Orte gewählt, und die dritte Stunde nach Mittag war für die heilige Handlung festgesetzt. Ich fand bereits die meisten Gäste zur Stelle, als ich zur anberaumten Zeit erschien; bald nach mir trafen auch die Aeltern mit der festlich geschmückten Braut ein, auf deren blühendem Antlitz süße Befangenheit mit sehnsüchtiger Erwartung kämpfte. Nur der Bräutigam fehlte noch immer. Nach morgenländischer Weise reichte man einstweilen Kaffee und eingemachte Früchte umher, die Männer rauchten, die Frauen plauderten, aber eine Viertelstunde verging nach der andern und Philipp kam nicht. Jetzt war es vier Uhr, die Gäste fingen an unruhig zu werden und steckten bedenklich die Köpfe zusammen; als eine zufällige Verspätung ließ sich das räthselhafte Ausbleiben des Bräutigams kaum mehr erklären, es mußte etwas vorgefallen seyn. Jussuf, von banger Ahnung ergriffen, schickte nach der Wohnung des Franzosen; der Bote fand sie verschlossen. Was war zu thun? Man harrte noch immer, eine peinliche Stille lag über der Gesellschaft, denn von gleichgültigen Dingen mochte Niemand reden, noch weniger seine Befürchtungen aussprechen; der Armenier ging, erzürnt und geängstigt zugleich, mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder; die Frauen beschäftigten sich um Marien und suchten die in Thränen Schwimmende zu trösten.
Da plötzlich gibt es ein hastiges Hin- und Wiederrennen auf der Straße, die Luft verdunkelt sich auf einen Augenblick, wie durch ein schnell heraufziehendes Gewölk und scheint dann in einen fahlen Schimmer getaucht; fern erhebt sich ein dumpfes Getümmel, ein verworrenes Geschrei, das wachsend immer näher und näher sich heran wälzt, bis man zuletzt deutlich den Schreckensruf: „Feuer! Feuer!“ vernimmt.
Wer hier zu Constantinopel keine Feuersbrunst erlebte, kann sich von der Gewalt des Elements, von der furchtbaren Schnelligkeit, mit welcher die Flamme um sich greift, von den ungeheuern Zerstörungen, welche sie anrichtet, kaum einen Begriff machen. Bei dem Mangel aller tüchtigen Löschanstalten und der gedrängten Bauart der meist hölzernen Wohnungen werden ganze Häuserreihen in wenigen Augenblicken ein Raub der Gluthen; nur die schleunigste Flucht bietet Heil, außer dem nackten Leben ist selten etwas zu retten. So hatte sich denn auch jetzt von Pera her der Brand bis in unsere Nähe gewälzt, ehe wir recht zur Besinnung kamen, und uns blieb nichts übrig, als das Haus zu verlassen und nach dem Strande zu flüchten. Mit Schrecken vernahmen wir auf der Gasse, daß das Feuer zuerst in Philipps Hause ausgebrochen sei. Ich mochte die düstere Ahnung, die mich bei dieser Nachricht erfüllte, nicht aussprechen.
Halb entseelt brachten wir die Frauen in eines unserer Boote, bestiegen mit Jussuf das zweite und stießen ab. Es war indessen Abend geworden. Ein heftiger Ostwind schürte das Feuer, das durch die dichten Dampfwolken hoch und roth empor schlug und seinen schauerlichen Glanz auf die dunkeln Wogenhäupter warf. Wir befanden uns in der Mitte der Meerenge – das Boot mit den Frauen dicht bei dem unsrigen – als ein französischer Kauffahrer mit vollem Winde aus dem Hafen segelte und bald so dicht an uns vorüber fuhr, daß wir auf dem Verdecke die hohe Gestalt Philipps, dessen bleiche Züge von den Flammen scharf erleuchtet wurden, deutlich erkennen konnten. Im nächsten Augenblicke war das Schiff in Rauch und Nacht verschwunden, aber zu gleicher Zeit traf ein herzzerreißender Schrei unser Ohr. Maria stand mit weit ausgebreiteten Armen aufrecht zwischen den Frauen, das Kaik von der gewaltsamen Bewegung erschüttert, schwankte heftig, dann schlug es um und sank mit Allen, die es getragen, in die bodenlose Tiefe hinab.
Sie wissen, der Bosporus verlangt sein Opfer. Der kühnste Schwimmer vermag nicht aufzutauchen, wenn seine Wirbel ihn gefaßt. Wie es kam, daß uns nicht gleiches Schicksal traf, daß wir Jussuf zu halten vermochten und die Barke bei unsern Bewegungen nicht ebenfalls eine Beute der Fluthen ward, ist mir noch immer ein Räthsel. Ich brachte den Alten nach Hause und verließ ihn erst den folgenden Tag, krank, düster, schwermuthsvoll, wie Sie ihn heute gesehen haben. Die Aerzte fristeten sein Leben, aber seinen Gram können weder sie, noch kann ihn die Zeit heilen.
Vergebens verhieß Jussuf demjenigen, der ihm wenigstens die theuren Hüllen zur Bestattung überliefern würde, alle die Edelsteine, mit welchen sie an jenem Schreckenstage geschmückt waren. Der finstere Meergott gab die Rose von Skutari nicht wieder heraus.“
Angelo hielt inne und rief nach einer neuen Pfeife, um der Wehmuth, die sich seiner unwillkührlich bemeistert hatte, gewaltsam Herr zu werden.
„Am nächsten Tage,“ fuhr er fort, „legte sich die Wuth des Brandes, welcher mit reißender Schnelligkeit hunderte von friedlichen Wohnungen verwüstet hatte. Man fieng an, die Trümmer für den Neubau fortzuräumen; viele Leichname und Verwundete wurden aus dem Schutte gezogen. So drang man auch in des Franzosen Haus, dessen Hintergebäude bei der entschieden östlichen Richtung des Windes von den Flammen fast gänzlich verschont geblieben war. Gleich beim Eintritte stieß man auf einen schwer verwundeten schwarzen
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 1). Braun & Schneider, München 1845, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_1.djvu/151&oldid=- (Version vom 7.1.2019)