Heute, wo einerseits alle Communicationsverhältnisse weit günstiger sind, andererseits auch die Vermögen der Einzelnen einen mächtigeren Aufschwung genommen haben, pflegen die Studenten zum wenigsten zwei Hochschulen zu besuchen, mitunter drei bis vier, indem die vermögenderen Norddeutschen eine Zeit lang auch auf einer süddeutschen Hochschule zu studiren pflegen. Für diesen Fall sind die ungünstigen Urtheile, die sie von ihrem früheren Lehrer gehört haben, für das Annehmen der Vorlesungen von entscheidender Wirkung, denn nur wenige sind so reif, dass sie im Stande sind, bei einer absprechenden Behauptung das Falsche von dem Wahren abzuziehen. Man muss nur in den Eisenbahncoupés nach den Ferien die Unterredungen der den einzelnen Universitäten zuströmenden Studenten öfters gehört haben, um die Wahrheit dieser Behauptung einzusehen. „Wirst du auch bei Professor X. hören?“ „I Gott bewahre!“ „Warum denn nicht?“ „Na, du weisst ja, Y. hat über ihn immer sehr abfällig gesprochen!“ So wird ein vielleicht recht guter Docent und Lehrer dadurch geschädigt, dass ein wissenschaftlicher Gegner ihn in seiner Vorlesung schlecht zu machen pflegt. Oder auch: „Y. hat gesagt, der sei nicht nöthig zu hören“ und Aehnliches.
Dieser Ton der Professoren hat aber noch eine weit bedauernswerthere Folge, die zunehmende Impietät der Studenten gegen ihre Lehrer, die allerdings
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/017&oldid=- (Version vom 18.8.2016)