Pastor Meiling: Nun – wir wollen ja doch den Gedanken einer Versöhnung nicht ganz von der Hand weisen. (Da Wöhlers eine abwehrende Bewegung macht) Lassen Sie mich nur ausreden. Ich habe Grund anzunehmen, daß Herr Behring durch die mancherlei Heimsuchungen, die ihm Gott geschickt hat, etwas mürber geworden ist. Der Allmächtige weiß noch immer so einen kleinen Menschentrotz zu brechen und auch die Verstocktesten seine Wege zu führen. Der Tod seines Kindes und die Krankheit seiner Frau – Sie wissen, daß seine Frau schwer krank liegt –
Wöhlers: Ja.
Pastor Meiling: Die Aufregung und der Schmerz um das Kind, die Sorge um sein Seelenheil, vor allem aber die Reue über ihr gottloses Thun hat sie wohl aufs Krankenlager geworfen. Nun, es wäre ein Wunder, wenn Herr Behring an den Früchten der „Aufklärung“ nicht bald den Geschmack verlöre, wenn er die deutlichen Winke Gottes nicht bald verstände, zumal er jetzt, wie ich weiß, von allen Mitteln entblößt ist.
Wöhlers: Nun – ? Und da soll ich etwa noch gar den gerührten Vater spielen und dem Lumpen, der all das verschuldet hat, unter die Arme greifen?!
Pastor Meiling: Nicht doch, nicht doch, Herr Wöhlers, das wäre eine sehr verkehrte, eine höchst unangebrachte Milde; Sie wissen, daß ich für solche gefährlichen Sentimentalitäten durchaus nicht zu haben bin. Aber wenn Herr Behring uns entgegenkäme, dann meine ich, sollten Sie ihn nicht zurückstoßen.
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/93&oldid=- (Version vom 31.7.2018)