Elise: (überlegen, mit Schärfe) Nicht mich unterhalten, Kind. Der Provinzial-Verband der Frauenvereine für innere Mission hält dort eine Konferenz ab, und ich habe das Protokoll zu führen.
Magdalene: So etwas kannst du auch? Wenn ich nur das nicht sollte! Es muß zum Sterben langweilig sein!
Elise: (mit einem wehmütigen Bedauern) Langweilig und immer nur langweilig! Unterhaltung und immer nur Unterhaltung!
Magdalene: Oh du – das darfst du nicht sagen; ich genieße das Leben von Herzen gern – aber ich arbeite auch gern – und fleißig – und unermüdlich, wenn es sein muß.
Elise: Bete und arbeite! sagt ein schönes Wort.
Magdalene: (trocken) Ja. – (Verlegenheitspause) Aber du – hast du meinen Verlobten schon gesehen?
Elise: Im Garten sah ich – von weitem – einen jungen Mann –
Magdalene: (Mit steigender Wärme) War er groß und schlank? War er schön? War er lieb? Dann ist er’s gewesen!
Elise: Ein Knabe begleitete ihn –
Magdalene: Mein Bruder! Dann ist er’s gewesen! Der Junge kann sich kaum von ihm trennen. Und es ist kein Wunder. Wolfgang kommt jeden Tag zu uns und unterrichtet Fritz, bald in diesem, bald in jenem, wie es der Augenblick mit sich bringt. Ich bin dabei und frage und antworte schüchtern und glücklich und stolz wie ein Kind. Seine Seele
Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/8&oldid=- (Version vom 14.6.2022)