Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung; eine Schmeicheley zur Betheurung; ein Einfall zum Wunsche; ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts klingt in dieser Sprache wie Alles: und Alles ist in ihr so viel als Nichts.
Emilia. O meine Mutter! – so müßte ich mir mit meiner Furcht vollends lächerlich vorkommen! – Nun soll er gewiß nichts davon erfahren, mein guter Appiani! Er könnte mich leicht für mehr eitel, als tugendhaft, halten. – Huy! daß er da selbst kömmt! Es ist sein Gang.
Appiani. (tritt tiefsinnig, mit vor sich hingeschlagenen Augen herein, und kömmt näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegen springt.) Ah, meine Theuerste! – Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermuthend.
Emilia. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht vermuthen. – So feyerlich? so ernsthaft? – Ist dieser Tag keiner freudigern Aufwallung werth?
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Christian Friedrich Voß, Berlin 1772, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Emilia_Galotti_(Lessing_1772).djvu/51&oldid=- (Version vom 31.7.2018)