ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bey dieser Gräfinn. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen, – Augen, wie sie die gute Gräfinn nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
Conti. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen –
Der Prinz. Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfinn gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. – Redlich, sag’ ich? – Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerey in sanfte Schwermuth verwandelt.
Conti. (etwas ärgerlich) Ah, mein Prinz, – wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch eben so warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe:
Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Christian Friedrich Voß, Berlin 1772, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Emilia_Galotti_(Lessing_1772).djvu/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)