war gerecht und berechtigt, als er zu dem Zweck angewandt wurde, dass an Stelle der einen ausbeutenden Minorität eine andere ausbeutende Minorität trete. Aber der Terror wurde ungeheuerlich und verbrecherisch, als er dazu angewandt werden sollte, dass jede ausbeutende Minorität überhaupt abgeschafft werde; als er im Interesse der tatsächlich vorwiegenden Majorität angewandt wurde im Interesse des Proletariats und des Halbproletariats, der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft.
Die Bourgeoisie des internationalen Imperialismus hat es fertig gebracht, in „ihrem“ Kriege 10 Millionen Menschen abzuschlachten und 20 Millionen zu Krüppeln zu machen – dem Kriege, im Namen dessen, ob die englischen oder deutschen Räuber die ganze Welt beherrschen sollen.
Sollte unser Krieg, der Krieg der Unterdrückten und der Ausgebeuteten gegen die Unterdrücker und die Ausbeuter, in allen Ländern eine halbe oder eine ganze Million Opfer kosten, so würde die Bourgeoisie dennoch sagen, die Opfer des Weltkrieges seien berechtigt, die des Bürgerkrieges aber verbrecherisch.
Das Proletariat ist aber anderer Ansicht.
Das Proletariat macht sich jetzt inmitten der Greuel des imperialistischen Krieges die grosse Wahrheit völlig zu eigen, die uns alle Revolutionen lehren; die Wahrheit, die den Arbeitern ihre besten Lehrer, die Begründer des modernen[WS 1] Sozialismus, vermacht haben. Diese Wahrheit besteht darin, dass eine erfolgreiche Revolution undenkbar ist, ohne dass der Widerstand der Ausbeuter gebrochen werde. Als wir Arbeiter und werktätige Bauern die Staatsmacht ergriffen, war es unsere Pflicht, den Widerstand der Ausbeuter niederzuhalten. Wir sind stolz darauf, dass wir es taten und dass wir es tun. Wir bedauern nur, es nicht genügend fest und entschlossen getan zu haben.
Wir wissen wohl, dass der wahnwitzige Widerstand der Bourgeoisie gegen die Revolution des Sozialismus in allen Ländern unvermeidlich ist; wir wissen auch, dass mit dem Wachstum dieser Revolution auch dieser Widerstand wachsen wird. Das Proletariat wird aber diesen Widerstand brechen, und im Verlaufe des Kampfes gegen die sich wehrende Bourgeoisie wird das Proletariat endgültig für den Sieg und für die Macht reif werden.
Mag die korrupte bürgerliche Presse jeden Fehler, den unsere Revolution begeht, in die Welt hinausposaunen. Wir fürchten unsere Fehler nicht. Mit dem Beginn der Revolution sind die Menschen nicht zu Heiligen geworden. Makel- und fehlerlos die Revolution zu Ende zu führen, vermögen nicht die werktätigen Klassen, die durch Jahrhunderte hindurch ausgebeutet, gewaltsam niedergehalten und in den Schraubstock der Not, der Unwissenheit und der Verwilderung gepresst wurden. Und der Kadaver der bürgerlichen Gesellschaft lässt sich nicht einfach einsargen und begraben. Der zur Strecke gebrachte Kapitalismus verfault, zerlegt sich mitten unter uns, verpestet unsere Luft, vergiftet unser Dasein und umstrickt das Neue, Frische, Junge, Lebendige mit tausend Fäden und Banden des Althergebrachten, Morschen, Toten.
Auf je hundert unserer Fehler, von denen die Bourgeoisie und ihre Speichellecker (unsere Menschewiki und die Rechts-Sozialrevolutionäre darunter) in die Welt hinausschreien, kommen 10,000 grosse Heldenakte, die um so grösser und um so heldenhafter sind, da sie einfach und unscheinbar sind, sich im Alltag des Fabrikviertels oder des entlegenen Dorfes abspielen und von Menschen begangen werden, die nicht gewohnt sind (und auch keine Möglichkeit dazu haben), jeden ihrer Erfolge[WS 2] in die Welt hinauszutrompeten.
Aber wenn auch das Gegenteil der Fall wäre – ich weiss wohl, dass eine solche Annahme falsch ist –, wenn selbst auf 100 unserer richtigen Schritte 10,000 Fehler entfielen, ja, auch dann noch wäre unsere Revolution gross und unbesiegbar; und sie wird auch vor der Weltgeschichte gross und unbesiegt dastehen, denn zum erstenmal kommt es vor, dass nicht die Minorität, nicht allein die Reichen und die Gebildeten, sondern die wirklichen Volksmassen, die ungeheure Majorität der Werktätigen selbst ein neues Leben aufbauen, selbst, aus eigener Erfahrung über die schwierigsten Fragen sozialistischer Organisation entscheiden.
Ein jeder Fehler in dieser Arbeit, in dieser gewissenhaftesten und aufrichtigsten Mitwirkung von zehn Millionen einfacher Arbeiter und Bauern an der Neugestaltung ihres ganzen Lebens –, ein jeder solcher Fehler wiegt Tausende und Millionen „fehlerloser“ Erfolge der ausbeutenden Minorität auf, alle die Erfolge im Uebervorteilen und Ueberlisten der Werktätigen. Denn nur an diesen Fehlern werden die Arbeiter und die
Anmerkungen (Wikisource)
Wladimir Iljitsch Lenin: Ein Brief an die amerikanischen Arbeiter. o. A., o. O. 1918, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Brief_an_die_amerikanischen_Arbeiter_(1918).djvu/9&oldid=- (Version vom 28.8.2018)