Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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15. Allgemeine akustische Sätze. | 9 |
ergibt, ist schliesslich doch nur eine zum guten Theil von willkürlich
gewählten Gesichtspunkten abhängige Abstraction von
den vielfach veränderlichen Gestalten, unter denen derselbe
sogenannte Einzellaut in der zusammenhängenden menschlichen
Rede auftreten kann. Aus praktischen Gründen pflegt man
aber auch beim Studium der Phonetik von den einfachsten
Elementen zu den complicirteren Gebilden fortzuschreiten, und
diese allgemein angenommene Methode ist auch in dem vorliegenden
Werke festgehalten worden. Will man sie aber befolgen,
so muss man sich stets die wichtige Thatsache vergegenwärtigen,
dass wir mit den wenigen Dingen, die wir von
dem künstlich isolirten Einzellaut aussagen können, noch
keineswegs das Wesen desselben in der lebendigen Sprache
erschöpft haben. Jedenfalls ist die Aufstellung eines blossen
Lautsystems, so wichtig sie an sich ist, doch immer nur eine
der elementarsten Thätigkeiten des Phonetikers, in dessen
Bereich die gesammten Erscheinungsformen der gesprochenen
Sprache fallen. Man beruhige sich also nicht bei dem Studium
der Laute an sich, sondern prüfe, immer zunächst wieder an
der Hand der Muttersprache, ebenso genau die Silben-, Takt-
und Satzbildung. Alle so erworbenen Kenntnisse erprobe man
dann weiter zunächst an der Behandlung lebender Sprachen
und Mundarten, und erst wenn man sich hier völlig gerüstet
findet, gehe man zur Anwendung der phonetischen Kriterien
zur Erläuterung älterer Sprachzustände und ihrer allmählichen
Veränderung bis zu ihren modernen Repräsentanten über.
15. Unter dem Namen Schall fassen wir sämmtliche vermittelst der Gehörorgane und nur vermittelst dieser wahrgenommenen äusseren Eindrücke zusammen. Schall entsteht dadurch, dass ein elastischer Körper in rasche hin- und hergehende Bewegung (Schwingungen) versetzt wird. Diese Bewegung theilt sich zunächst den den Körper umgebenden elastischen Medien (in weitaus den meisten Fällen der Luft) mit und wird von diesen wieder auf gewisse Theile des Gehörorgans übertragen, welche nun ihrerseits durch Reizung der Gehörnerven in uns die Empfindung des Schalles hervorrufen. Die Fortpflanzung der Schallbewegung geschieht in der Form von Wellen (Schallwellen).
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/29&oldid=- (Version vom 23.5.2022)