Zum Inhalt springen

Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/337

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

so gut oder schlecht es gehen will, mit ihren einfachen Hilfsmitteln und ohne den Beistand europäischer Präzisionsmechanik im Lande selbst anzufertigen, da England die Einfuhr von Waffen in Indien durch Zollmaßregeln von äußerster Schärfe fast unmöglich gemacht hat. Natürlich liegt den Nepalern unter diesen Umständen ganz besonders viel daran, neue, der modernen Technik entsprechende Feuergewehr-Modelle in die Hand zu bekommen und sollen namentlich die alle fünf Jahre aus Nepal durch Tibet nach Peking ziehenden Gesandtschaften die Übermittler derartiger Erzeugnisse der europäischen Kulturfortschritte sein. Allerdings pflegen diese Gesandtschaften in Tibet, mit oder ohne Wissen Chinas, eingedenk der Kriege zwischen diesen Ländern und Nepal nicht gerade gut aufgenommen, und gelegentlich auch, jedoch merkwürdigerweise immer erst auf dem Heimwege, von Räubern ausgeplündert zu werden; Nepal sah sich sogar genötigt, seinen Gesandten beim Dalai Lama in Lhasa wegen fortgesetzt übler Behandlung im Jahre 1876 ganz abzurufen. Hätten übrigens die Engländer, als die Tibeter sie im Jahre 1792 bei einem Einfall der Gorkhas in ihr Land zu Hilfe riefen, diesen die erbetene Hilfe gewährt, so wären für sie jetzt zweifellos Tibet wie Nepal offene Länder; daß England vorhatte, das goldreiche Süd-Tibet an sich zu reißen und nur durch den Boerenvernichtungskrieg veranlaßt wurde, die Ausführung dieser Absicht zu vertagen, ist kein Geheimnis mehr.

Jedenfalls sucht sich Nepal auf alle Möglichkeiten vorzubereiten und traut England nicht über den Weg. Die äußerlich so oft betonte Freundschaft zwischen beiden Ländern kann naturgemäß nicht ehrlich und aufrichtig sein, da andernfalls Nepal wohl schon längst den Engländern seine so mißtrauisch versperrten Tore soweit wie möglich geöffnet haben würde. Die Nepaler wissen gar wohl, daß sie ihre zur Zeit etwa zwanzig Millionen Mark betragenden Regierungseinkünfte ungeheuer vermehren könnten, wenn sie die in ihren Bergen und Wäldern und Feldern verborgenen Werte durch europäische Sachverständige prüfen und zu Tage fördern ließen; ebenso weiß die Regierung sehr gut, daß das Tal von Pokhra,[WS 1] das noch größer als das von Katmandu ist, durch Umwandlung der darin enthaltenen Seen in Bewässerungsanlagen ebenso fruchtbar wie jenes gemacht werden könnte, so daß an demselben Boden jährlich zwei bis drei Ernten an Weizen und Reis eingeheimst werden könnten, aber Nepal führt lieber Getreide aus Indien ein, ehe es sich dazu entschließt, die zu den erforderlichen Vermessungs- und Regulierungsarbeiten nötigen Europäer in das Land zu lassen! „Zuerst kommen bescheidentlich Missionare mit der Bibel oder Ingenieure mit dem Meßtisch, dann Kaufleute mit der Branntweinflasche und schließlich die Soldaten mit ihren Feuerschlünden,“ ist das in Asien allgemeine Sprichwort in Bezug auf das Eindringen von Europäern.

Die Volksempfindung in Nepal ist noch immer die gleiche wie im Jahre

1851, wo Jan Bahadur das Anerbieten des englischen Gesandten Erskin,[WS 2] gute Straßen aus Indien in das Land bauen zu lassen, mit dem Hinweis ablehnte, daß dies einen ungeheuren Volksaufstand zur Folge haben würde, obgleich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tal von Pokhra: vergleiche Pokhara Valley (en)
  2. WS: Erskin: vergleiche John Erskine, 4. Baron Erskine (1804-1882; Zivilbeamter in Indien 1826-1853)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/337&oldid=- (Version vom 2.7.2018)