berechnetes politisches Verhalten und Streben, und jene Erfahrung ward für mich zugleich ein Beweggrund mehr, nie eine auf mich gefallene Wahl in den Ausschuß des Deutschen Vereins, dem ich als Mitglied angehörte, zu acceptiren, obgleich ich nach freier Wahl den Sitzungen des Ausschusses öfters beiwohnte.
Denn, wenngleich der Amtmann Hensel späterhin wider Erwarten – wahrscheinlich unter dem Einflusse seines Bruders, des Stadtrath Hensel aus Zittau, welcher der radikalen Partei angehörte – sich auf dem Frankfurter Parlamente mit zur Linken hielt, so ist derselbe doch von extremen Beschlüssen und Maßregeln fern geblieben, und jedenfalls war es für die Residenzstadt Sachsens eine unter den damaligen Verhältnissen sehr bedeutende Ehrenrettung, daß nicht bei beiden Wahlen, in Altstadt – wo Wigard gewählt ward – und in Neustadt die konservative Partei der Demokratie unterlag.
Es folgte nunmehr eine Zeit, in welcher die Demokratie durch die Vaterlands- und republikanischen Vereine einer-, sowie die konservative Partei durch die deutschen Vereine andererseits auf die großen Massen zu wirken und sie, je nach der Verschiedenheit ihres Standpunktes, für ihre Tendenzen und Pläne zu gewinnen suchten.
Dies sprach sich am deutlichsten bei den Vorbereitungen zu den Wahlen aus, welche dem in der Folgezeit mit dem Namen des „Unverstands-Landtags“ bezeichneten Landtage des Jahres 1849 vorangingen. Es wurden zu solchem Behufe vielfache Volksversammlungen in- und außerhalb Dresden abgehalten und vielen derselben habe ich gemeinschaftlich mit anderen Mitgliedern des deutschen Vereins, namentlich aus dessen Ausschusse, beigewohnt. Schmerzlich war es im höchsten Grade, daß, selbst im Bereiche der Stadt Dresden, nur so äußerst wenig Männer der konservativen Partei sich herbeiließen, in dergleichen Volksversammlungen mit zu erscheinen, während alle Räume stets von den Mitgliedern der Vaterlandsvereine überfüllt waren. So gelang es mir z. B. bei einer Volksversammlung im Reußischen Garten in Antonstadt[1] nur noch zwei Mitglieder des Deutschen Vereins, Advokat Ackermann[2] und Dr. Tittmann[3]), zu einer Begleitung dahin zu gewinnen, während über 400 Anhänger des Vaterlandsvereins aus allen Theilen der Stadt sich daselbst eingefunden hatten. Wie sehr eine solche, in numerischer Hinsicht entmuthigende Minorität das Uebergewicht der Demokratie, die an blinde Unterwürfigkeit gegen ihre Wortführer, mochten dieselben auch die paradoxesten Sätze und unsinnigsten Versprechungen ihren Zuhörern auftischen, gewöhnt war, kräftigen und dem konservativen Prinzipe schaden mußte, lag auf der Hand. Es waren schwere Kämpfe und heiße Tage, und es gehörte die höchste, nur bei inniger Liebe zu König und Vaterland mögliche Selbstverleugnung dazu, um in einem so ungleichen Kampfe nicht zu ermüden. – Die Unthätigkeit und Furchtsamkeit der konservativen Partei allein trägt, nach meiner vollsten Ueberzeugung, die Schuld daran, daß die Demokratie zu einer so beispiellosen Machtentwickelung in Sachsen gelangen konnte.
Da es Sitte war, daß alle Wahlkandidaten in jenen Volksversammlungen erschienen, um sich ihren Wählern persönlich vorzustellen und zu empfehlen, und da unter ihnen auch der damalige Staatsminister Dr. von der Pfordten von dem Deutschen Vereine in Neu- und Antonstadt als Kandidat für die erste Kammer aufgestellt worden war, so richtete ich an den Ausschuß des Deutschen Vereins in einer Sitzung des Ersteren die Frage: ob nicht auch der Staatsminister von der Pfordten angegangen werden möchte, in einer nächstens bevorstehenden Wahlversammlung in obgedachtem Reußischen Garten ebenfalls vor seinen Wählern sich persönlich einzufinden? Man beauftragte mich, deshalb mit Herrn von der Pfordten zu konferiren.
Als ich ihm am nächsten Morgen deshalb in seiner Privatwohnung aufwartete, fand er es zwar an sich in der Ordnung, daß auch er, nachdem er einmal die Aufstellung seiner Person als Wahlkandidaten angenommen habe, sich jener Sitte füge, glaubte jedoch einer einseitigen sofortigen Zusage sich enthalten und vorerst noch mit den übrigen Ministern über diese Frage in Vernehmung treten zu müssen. Er beschied mich daher auf den nächstfolgenden Morgen in die Lokalität des Gesammtministerii im Königl. Schlosse zu sich.
Dort eingetroffen erfuhr ich von ihm, daß seine Kollegen, namentlich der Staatsminister Oberländer, aus dem Grunde gegen eine solche persönliche Berührung mit den Wählern sich ausgesprochen hätten, weil ja ihre, der Minister, politische Ansicht bereits genugsam im Volke bekannt sei. Er lehnte daher sein Erscheinen in der am nämlichen Tage, Abends 8 Uhr, stattfindenden Volksversammlung ab, fügte jedoch hinzu, daß, um jeden Zweifel zu beseitigen, die sämmtlichen damaligen Staatsminister ihr politisches Glaubensbekenntniß auch noch ausdrücklich öffentlich ablegen würden.
So entstand jenes inhaltschwere folgereiche „Offene Wort“ der Minister vom 8. Dezember 1848, welches, von der Demokratie mit eben so großem Erstaunen als rückhaltloser Erbitterung aufgenommen, den Sturz
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/186&oldid=- (Version vom 13.8.2024)