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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/185

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Stimme zum Abgeordneten bei der Frankfurter Nationalversammlung zu geben mich für verpflichtet erachten werde, und bezeichnete als solchen den Amtmann Hensel. Um jedoch Blöden Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung zu geben, hielt ich ihm sein öffentlich im Druck erschienenes Wahlmanifest vor. Ich machte bemerklich, daß er darin gesagt habe: „das sächsische Volk will die konstitutionelle Monarchie“[1]. Ich forderte ihn auf, zu erklären, ob er sie auch wolle. Jene Fassung sei mir nicht genügend, weil sie ihm völlig freien Spielraum lasse, sich persönlich auch für eine allgemeine deutsche Republik auszusprechen und dabei mit der Ausflucht zu decken: „in meinem Wahlmanifeste habe ich ja bloß gesagt: das sächsische Volk will die konstitutionelle Monarchie; es ist dabei nicht im Entferntesten von mir angedeutet worden, daß ich sie auch wolle. Man hätte mich verstehen sollen“. Er werde dadurch allerdings nicht in Widerspruch mit den in seinem Wahlmanifeste gethanen Zusagen kommen, allein dies sei grade für mich um so bedenklicher, weil ich ihn verstanden hätte! Weiter hielt ich ihm die in der von mir mit zur Stelle gebrachten Nr. 16 des damals in Mannheim erscheinenden „Deutschen Zuschauers“, eines ultraradikalen Blattes, abgedruckte „Adresse von 90 Demokraten zu Marburg in Kurhessen an die Minorität der 143“ – welche aus der Paulskirche ausgetreten waren – „insbesondere die Herren Hecker und Struve“ vor, an deren Schlusse es heißt: „Wir, und mit uns gewiß die Mehrzahl des deutschen Volkes, erklären Euch hiermit, daß das von Euch ausgesprochene politische Glaubensbekenntniß ganz das unsrige ist und daß wir durch Wort und That zu dessen Verwirklichung mitwirken werden. Wir schließen uns Euch und allen ächten deutschen Republikanern an, und steuern muthig mit Euch dem großen Ziele, einer deutschen Republik, entgegen!“

Ich wies Blöden durch seine eigenen Referate in dem damals hier erscheinenden Morgenblatte nach, daß er sich mit unter jenen ausgeschiedenen 143 befunden habe, und forderte ihn nunmehr ferner auf, zu erklären, was von ihm auf jene Adresse, deren Eingang bei dem Adressaten vor dem öffentlichen Abdrucke angenommen werden müsse, daher es keinem Zweifel unterliege, daß sie wirklich abgegangen sei, geschehen? ob von ihm durch Stillschweigen seine Theilnahme an dem Streben nach einer deutschen Republik zugestanden oder von ihm dagegen Verwahrung eingelegt worden sei?

Blöde erhob sich in augenscheinlicher Aufregung, sprach seine höchste Verwunderung darüber aus, daß ich es habe unternehmen können, ihn in solcher Weise öffentlich zu interpelliren, und suchte in längerer, feuriger Rede – denn er sprach überhaupt sehr gut – die Loyalität seiner Gesinnungen zu dokumentiren. Ehe ich noch ein Wort darauf zu erwidern vermochte, wurde von Trützschlern auf „Schluß der Debatte“ – in einer Vorberathung, ohne alle parlamentarische Form und ohne jede Geschäftsordnung! – angetragen, dieser Antrag von dem erwählten „Vorstande“, dem Bürgermeister Haberkorn aus Pulsnitz[2], zur Abstimmung gebracht und von der sämmtlichen Demokratie genehmigt! Nichtsdestoweniger wurde Hensel mit 54 Stimmen, also unter 94 Votanten, mit mehr als absoluter Majorität gewählt. Die sämmtlichen übrigen 40 Stimmen waren auf Blöden gefallen, – ein Wahlresultat, welches in numerischer Beziehung das feste Zusammenhalten der Parteien in Betreff ihrer Kandidaten auf eine Weise charakterisirte, wie sie gewiß bei wenigen der damals so häufigen Wahlakte vorgekommen sein wird.

Die demokratischen Mitglieder der Wahlhandlung waren durch dieses Ergebniß auf das Alleräußerste betroffen, und eine gleiche Wirkung zeigte sich auch unter den übrigen, von außen durch Thüren und Fenster eingedrungenen, der allergrößten Mehrzahl nach der Volkspartei ebenfalls angehörigen Zeugen jenes Aktes. Wie ganz unerwartet die Wahl Hensels der Demokratie kam, davon zeugte bei dem später in der „Stadt Leipzig“ eingenommenen Mittagsmahle eine meinem Nachbar zur Linken, dem Advokat von Polenz aus Radeberg, welcher jener Partei leidenschaftlich zugehörte, gethane Aeußerung. Er fragte mich nämlich geradezu: wie man nur auf den Amtmann Hensel gefallen sein möge? Er, Polenz, sei erst gestern noch in Dresden gewesen und habe von seinen Parteigenossen allgemein gehört, daß Blödes Wahl für so gut als zweifellos angesehen werden könne, indem von der konservativen Partei gar kein Gegenkandidat aufgestellt worden sei.

Ich fand natürlich keine Veranlassung, ihm den Hergang der Sache auseinanderzusetzen, wohl aber ward ich durch diesen Wahlsieg umsomehr in meiner Ueberzeugung bestärkt, daß im politischen Leben jeder Einzelne durch Konsequenz, bereitwillige Hingebung und Energie auch ohne fremde Beihilfe einen Erfolg von allgemeiner Wichtigkeit erreichen kann. Hieraus entsprang auch in der ganzen Folgezeit mein mehr auf mich selbst als auf das Zusammenwirken mit Andern


  1. Der dem Aufrufe des Vaterlandsvereins entnommene Satz der Blöde’schen „Wahlbewerbung“ lautete vollständiger: „Für die einzelnen teutschen Staaten gilt als Grundsatz: Freie Wahl ihrer Regierungsform. Das sächsische Volk will: die konstitutionelle Monarchie, als Vertreterin und Vollzieherin des Volkswillens!“
  2. Ludwig Haberkorn, damals Bürgermeister nicht in Pulsnitz, sondern in Kamenz, später in Zittau, langjähriger konservativer Präsident der zweiten Kammer, lebt noch als Geheimer Rath in Zittau.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/185&oldid=- (Version vom 13.8.2024)