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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/103

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Rutowski noch am 13. Abends um sich versammelt hatte, einhellig der Ansicht war, daß der Versuch, jetzt und von hier aus nach Oesterreich sich durchzuschlagen, ein völlig aussichts- und erfolgloses Hinopfern von Menschen sein würde und daher eine Kapitulation unvermeidlich sei. Ein dies darlegender Bericht, welchen der Adjutant Rutowski’s, Major Accaris, niederschrieb, wurde noch am selben Abende dem Premierminister Grafen Brühl nach dem Königstein übersendet. Wunderbar; derselbe Graf Brühl, der im Lager bei Pirna so unentschlossen und zaghaft sich gezeigt hatte, verlangte jetzt, von der Festung Königstein aus, den Kampf auf Tod und Leben! Die vom König-Kurfürsten selbst unterzeichnete Antwort verwarf die Kapitulation.

Sofort nach Empfang dieser allerhöchsten Entschließung berief Rutowski am 14. Oktober bereits vor Tagesanbruch die Generäle zu einem nochmaligen Kriegsrathe. Sie waren noch nicht bei ihm versammelt, als er früh 7 Uhr die Abschrift eines dem Minister Brühl zugegangenen chiffrirten Briefes des Feldmarschalls Grafen Broune zugesendet erhielt. Welch traurige Ironie eines grausamen Schicksals! Broune, der mit 8–9000 Mann auf Gebirgswegen in der Richtung auf Schandau marschirt war, um in das Elbthal hinabzusteigen, schreibt am 13. Oktober Abends: er habe am 12. und 13. bis zum Abende in seinem Hauptquartiere Lichtenhayn gewartet, ob sächsischerseits „die passage tentiret“ werde; da dies nicht geschehen, so nehme er an, daß hierzu keine günstige Gelegenheit geboten gewesen; er werde noch bis zum 14. Vormittags 9 Uhr warten, dann aber müsse er abmarschiren.

Nun war wenigstens alle Ungewißheit beseitigt, an ihre Stelle aber die niederbeugende Gewißheit getreten, daß während der letzten zweimal 24 Stunden die Hilfe nahe gewesen war und daß sie hätte gebracht werden können, wenn eine gegenseitige Verständigung ausführbar gewesen wäre, endlich die Gewißheit, daß in zwei Stunden das österreichische Korps seinen Rückmarsch antrete. Der einzelne Bote des österreichischen Marschalls hatte zu seinem Wege sieben Stunden gebraucht. Wieviel Stunden würde die körperlich geschwächte Armee gebraucht haben, wenn es ihr zuvor gelungen wäre, den in starker Stellung befindlichen übermächtigen Feind zu durchbrechen, – eine Voraussetzung, die man als eine unmögliche erkannte.

Der zusammengetretene Kriegsrath sprach sich einstimmig für Kapitulation aus. Mit welchen Empfindungen mögen die auf so vielen Schlachtfeldern in Polen, am Rheine, in Böhmen, Schlesien und Ungarn ergrauten und erprobten Generale ein solches Votum abgegeben haben! Der Beschluß und dessen Motivirung wurde in einem, von dem Generallieutenant Johann Friedrich Graf Vitzthum in französischer Sprache verfaßten und von allen Generalen früh 8 Uhr des 14. Oktober unterzeichnetem Schreiben dem Grafen Brühl[1] angezeigt. Es heißt darin, ins Deutsche übertragen u. A.: „Die Armee hat der Ehre genügt. Wir haben uns in unserem Lager sechs Wochen lang gegen ein Korps, weit stärker, als das unsere, gehalten etc.“ und am Schlusse: „Die Unglücksfälle, die uns in diese Lage gebracht, konnten weder vorhergesehen, noch überwunden werden. An dem Könige ist es, zu sprechen. Die Armee wird ihr Blut hergeben, aber vergeblich. Ihre Vernichtung, welche unvermeidlich, könnte weder den Ruhm des Königs vermehren („affermir Sa gloire“), noch den Staat retten und sie würde ein Corps von Generalen, welche bisher mit Ehren und in Treue gedient zu haben glauben, dem gerechten Vorwurfe der Unwissenheit und Tollkühnheit preisgeben“. Zur Ueberbringung und, was wohl die Hauptsache war, zur mündlichen Weiterbegründung der Eingabe wurde der Generalmajor von Gersdorff ausersehen. Rutowski, der ihn im ersten schlesischen Kriege 1741/42 als Generaladjutanten in seinem Stabe gehabt hatte, kannte genügend seinen Charakter und seine Fähigkeiten. Auf dem Königsteine, bei Gelegenheit der Ueberreichung des Schreibens an den Grafen Brühl, hatte Gersdorff eine bedeutungsvolle Audienz bei dem König-Kurfürsten. Der König, welchem Brühl die volle Wahrheit über die Lage seiner Armee offenbar noch vorenthalten hatte, verwarf trotz der Seiten Gersdorff’s versuchten Darlegungen die Idee, eine Kapitulation einzugehen, auf’s Neue und verblieb dabei, es solle attaquirt werden. Gersdorff brachte also von seiner Sendung nur den mündlichen Befehl zurück, zum Angriffe zu schreiten. Der Feldmarschall Graf Rutowski konnte es nicht über sich gewinnen, den nach seiner und der gesammten Generalität Ueberzeugung ebenso erfolglosen als verhängnißvollen Schritt ohne schriftlichen Befehl zu thun. Er entsendete deshalb seinen Generalquartiermeister Generalmajor von Dyherrn nach dem Königsteine mit dem Auftrage, durch Vermittelung des Grafen Brühl die Erlassung eines allerhöchsten schriftlichen Befehles über das, was geschehen solle, zu erwirken. Infolge dieser Sendung erhielt er denn auch am nämlichen Tage, den 14. Oktober, ein königliches Schreiben, durch welches das Schicksal der Armee ganz in seine Hand gelegt wurde. Er schritt nun zu Kapitulationsverhandlungen und pflog dieselben mit dem preußischen Generallieutenant von Winterfeld am 15. Oktober früh und zwar um so eifriger, als im sächsischen Lager gänzlicher Mangel an Nahrungsmitteln herrschte. Der König von Preußen


  1. Vgl. den französischen Wortlaut in (Graf Carl Vitzthum’s) „Die Geheimnisse des sächs. Cabinets“ II S. 441 f.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/103&oldid=- (Version vom 24.7.2024)