Der König-Kurfürst hatte, um seine Neutralität zu erkaufen, dem Könige von Preußen gegenüber sich brieflich zu weitgehenden Konzessionen verstanden; diese Korrespondenz hatte jedoch keinen Erfolg.
So beruhte die einzige Hoffnung auf einem Sukkurs Seiten der Oesterreicher, der dem Grafen Brühl von dem in Böhmen eine Armee sammelnden österreichischen Feldmarschall Grafen Broune (von Manchen „Brown“ geschrieben) erbetenermaßen zugesagt worden war.
Da auf diese Hülfe günstigsten Falls erst nach 3–4 Wochen zu rechnen war, so mußte man mit den schwachen Mundvorräthen inzwischen auszukommen suchen, was zur Folge hatte, daß schon in den ersten Tagen des Septembers Brod- und Fourage-Rationen herabgesetzt und die Vorspannpferde sogar nur auf den nothdürftigen Graswuchs verwiesen wurden. Alle Zufuhren von Proviant waren abgeschnitten; nur die für die Königliche Tafel bestimmten Lebensmittel ließen die preußischen Vorposten passiren.
Während nun der immer drückender werdende Nahrungs-Mangel die körperliche Spannkraft von Mann und Roß verringerte, vollendete der König von Preußen in der Zeit vom 10. bis zum 16. September mit nahezu 40,000 Mann die Einschließung der sächsischen Stellung auf allen Seiten. Trotz der ihnen auferlegten Entbehrungen ließen die sächsischen Truppen den Muth nicht sinken. Um zu verhindern, daß der österreichische Feldmarschall Broune den Sachsen die Hand reiche, hatte Friedrich II. die Feldmarschälle Keith und Schwerin von Schlesien her in Böhmen einrücken lassen und das Kommando der Einschließungs-Armee dem Markgrafen Karl von Schwedt übergeben, während er sich persönlich zu den in der Gegend von Aussig stehenden preußischen Truppen begab und die Oesterreicher am 1. Oktober 1756 bei Lobositz schlug.
Zur Rettung der sächsischen Armee waren in dem Kriegsrathe der Generäle mancherlei Vorschläge verhandelt worden; die Unentschlossenheit und Mattherzigkeit Brühl’s hatte keinen zur Ausführung gelangen lassen. Den König hielt der Minister in Struppen ganz isoliert; Niemand durfte ihn sprechen, selbst der Feldmarschall nicht. Es war ein verzweiflungsvoller Zustand. Die Lage war völlig unhaltbar und verlangte einen Entschluß. Derselbe wurde dahin gefaßt: auf das rechte Elbufer überzugehen, um über Prossen mit den sehnlichst erwarteten Oesterreichern schneller sich vereinigen zu können.
Auf einer unter den Kanonen der Festung Königstein geschlagenen Schiffsbrücke, für welche eine Stelle unterhalb Thürmsdorfs beim Einflusse des dortigen Baches in die Elbe gewählt war, wurde der Uebergang bewerkstelligt. Der Anmarsch der Truppen hatte schon am 12. Oktober Abends begonnen und währte die ganze Nacht, eine wahre Schreckensnacht. Anhaltender Regen und die schweren Pontonwagen hatten die einzige, von Thürmsdorf her steil abfallende Fahrstraße schon im Voraus fast unpassirbar gemacht. Sehr bald traten in der stürmischen, regnerischen Nacht weitere Hemmnisse durch umgeworfenes Fuhrwerk ein, die durch Nahrungsmangel geschwächten Zugpferde konnten oft nicht einmal die leichten Regimentsgeschütze fortbringen und die Infanterie war auf steile, schlüpfrige Fußsteige angewiesen. Am 13. Oktober Nachmittags 4 Uhr war die Armee bei fortströmendem Regen und ganz ungenügender Verpflegung auf der Ebenheit am Lilienstein versammelt.
Der König-Kurfürst hatte die Schreckensnacht vom 12./13. Oktober auf dem Rittergutshofe zu Thürmsdorf zugebracht und sich früh 5 Uhr mit seiner Umgebung nach der Festung Königstein begeben. Wenige Stunden später bedrängten bereits preußische Bataillone und Schwadronen unter Generallieutenant von Ziethen von Großcotta und Krietzschwitz her die sächsische Nachhut, wobei der größte Theil der sächsischen Bagage verloren ging. Aber auch auf dem Liliensteiner Plateau zeigte sich, daß man eine bedeutende preußische Truppenmacht gegen sich habe. Das Dorf Waltersdorf, gegen welches ein sächsischer Durchbruchsversuch sich würde haben richten müssen, wurde durch einen starken Verhau befestigt vorgefunden. Auf dem kleinen Bärensteine etablierte sich eine preußische Batterie, die den Abmarsch der sächsischen Nachhut schon beschleunigt hatte und nun die Truppen auf der Ebenheit beunruhigte. Um das Unglück voll zu machen, wurde am Abende die sächsische Pontonbrücke bei dem Versuche, sie nach dem rechten Ufer zu bringen, zerrissen, von der Strömung ergriffen und den Preußen in die Hände getrieben. Weiter kommt Folgendes in Betracht: in den Befestigungswerken des Lagers bei Pirna hatten 47 Stück schweres Geschütz, weil nicht transportabel, vernagelt und sammt der zugehörigen Munition zurückgelassen werden müssen; auf dem Wege nach der Schiffsbrücke war noch manches andere Geschütz in dem aufgeweichten Erdreiche stecken geblieben, der Artillerie-Bestand daher stark abgemindert, auch der Vorrath an Infanterie-Munition gering und durch den unablässigen Regen sogar verdorben; die gesammten Truppen befanden sich infolge des Mangels und der Strapazen in einem physisch ganz herabgekommenen Zustande, zu dessen Aufbesserung es an Zeit und Mitteln gebrach (die Soldaten, deren Mannszucht und Gehorsam unter solchen Umständen mit Recht als passiver Heroismus bezeichnet worden ist, nährten sich von Krautstrünken und Kürbisranken, die sie auf den Feldern zusammensuchten, und von gekochtem Haarpuder mit Schießpulver gesalzen); und von der Ankunft des Feldmarschall Broune verlautete nicht das Geringste. Nach diesem Allen begreift man, daß der Kriegsrath der Generäle, welchen
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/102&oldid=- (Version vom 25.7.2024)