wurde, weil er nicht in die gewünschte Politik paßte. Der Jubel unter uns Offizieren über diese Proklamation ist sehr groß.“
„5. Dezember. Das heute angekommene Kongreßblatt schlägt unsere Freude von gestern her etwas nieder, da selbst dieses Blatt gar nicht in der erwarteten Weise über diese Erklärung urteilt. Wahrscheinlich wird es uns nunmehr, daß der König, verlassen von allen, nun seine Zuflucht zu sich selbst nimmt und die Welt über sich richten lassen will. Dieser biedere Mann sieht freilich die Rechtlichkeit auch in anderen, die ihn beseelt! – Wir vernehmen von Zurückgekehrten aus Sachsen, daß die provisorische Regierung alles anwendet, um die Stimme der Nation für sich zu gewinnen und daß es ihr bereits schon sehr gelungen sein soll. So hat man z. B. öffentlich die Anhänglichkeit an den König gebilligt und sie laut zu äußern aufgefordert. Den General Sahr[1] hat General Gaudi aufgefordert, sich ungescheut zum König zu begeben, da man wüßte, wie sehr er dem König attachiert sei, und dergl. mehr.
Am Abend kehrt Major Koppenfels von Bonn zurück, welcher die Quartiere fürs Hauptquartier des Generals Thielmann vorläufig daselbst reguliert hat. Warum dieser sich dorthin legen will, ist uns unbekannt[2]. Ohne Zweifel will er dem General Kleist möglichst nahe sein. Uns allen ist es sehr fatal, daß das Hauptquartier, unter dem wir so manchen Freund haben, hier weggeht. An Oberst Einsiedel[3], Seydewitz[4] und B.-Adj. [Brigadeadjutant?] Heymann sende ich Abschriften der Erklärung des Königs.“
6. Dezember. „ . . . . . . Das heute angekommene Frankfurter Zeitungsblatt [enthält] einen für uns sehr merkwürdigen Artikel. . . . . . . Sachsen ist wieder hergestellt. . . . . . . Unsere Freude ist allgemein, obschon wir sehr bald nach der ersten Aufwallung in Erwägung ziehen, daß dieser Artikel [als] unverbürgtes Gerücht aus der Nürnberger Zeitung entlehnt war. Allein der Schiffbruchleidende faßt den Strohhalm. Das Zusammentreffen mehrerer Umstände bestärkt uns in unserem süßen Wahne, nämlich die Durchreise eines preußischen Kuriers, der sehr eilig von Wien nach Aachen gegangen war, das Aufschieben der vorseienden Delogierung, da Thielmann die Entscheidung des Kongresses sehr nahe glaubt, und die Wut, mit der Thielmann diese Zeitungsnachricht aufnimmt. Heiter und froh war alles heute ob der Hoffnungen.“
„7. Dezember. Auf frohe Tage folgen wieder trübe. Letzteres fand heute bei uns Anwendung. Die zwischen dem General und S. [Senft?[5]] eingetretene Kälte veranlaßte heute einen gänzlichen Bruch, bei dem allerdings unser vortrefflicher General S. sehr wehe tut; allein [er] war hierbei zu sehr ergriffen, als daß gemütliche Vorstellungen imstande gewesen wären, ihn zu einer günstigeren Stimmung gegen S. zu bewegen. S. entschloß sich daher, ihn morgen um Urlaub nach Sachsen zu bitten. – Das heutige Frankfurter Zeitungsblatt widerlegt die gestern mitgeteilte uns so frohe Nachricht.“
„8. Dezember. Nach Pflicht und Gewissen wendete ich heute alles an, um den General von S.’s Unschuld[6] zu überzeugen und ihn zu einem minder strengen Urteil über ihn zu veranlassen. Zu meiner Freude glaubte ich auch bemerken zu können, daß, wie ich es gleich beurteilt hatte, nur eine böse Laune sich des Generals so bemeistert hatte, daß er gewiß mehr unwillkürlich ihm so bittere Vorwürfe gemacht hatte. – Das eingereichte Urlaubsgesuch refüsiert der General. Die Gründe hierzu schienen mir günstig für S. zu sprechen. Nach wiederholt gemachten Anregungen meinerseits gelang es mir, – ich glaube wenigstens einiges Verdienst hierbei mir mit beimessen zu können –, [den General umzustimmen], und am Abend schied S. in einer froheren und heiterern Stimmung als gestern. Wir alle sagten ein recht freudiges: Gott sei Dank, daß auch diese trübe Wolke so bald vorüberzog; denn gewiß mußte es uns alle, die wir dem General so sehr ergeben sind, innig schmerzen, ihn hierin so hart und seinem Charakter ganz zuwider handeln zu sehen.
Früh traf ein preußischer Feldjäger aus Dresden ein. Durch ihn erhielt ich Briefe von Mutter, Louis und Suschen[7]. Louis’ Brief war vom 4., die anderen beiden vom 1. Dezember. Auf den der Mutter[8] werde ich stets stolz sein. Louis verweist mich mit den interessanten Nachrichten an Zezschwitz.“
„10. Dezember. Mittags einem Abschiedsdiner beigewohnt, welches der Gouvernementskommissär Sack dem General Thielmann zu Ehren gibt. Es war dieses ein sehr ennuyantes Fest, da lange, sehr lange bei Tische gesessen ward, die Unterhaltung etwas gezwungen war und niemand zum Trinken disponiert war. . . . . . .
- ↑ S. o. Anm. 12.
- ↑ Das war der Anfang zur Verlegung der sächs. Truppen aus der Nähe der österreichischen (s. u. 18. Jan. 1815).
- ↑ Kurt Hildebrand v. Einsiedel, Kommandant des 1. Linienregiments.
- ↑ Hans Aug. v. Seydewitz, Oberst und Kommandant des 2. Linienregiments.
- ↑ S. o. Anm. 80
- ↑ Worum es sich handelt, wird nicht klar, vielleicht hatte Lecoq infolge der Behauptung Thielmanns, alles zu erfahren, was bei Lecoq gesprochen würde (s. o. 3. Dez. 1814), seinen Brigadeadjutanten im Verdachte, nicht diskret genug gewesen zu sein.
- ↑ Die zweite Schwester des Verfassers, heiratete 1816 den Artilleriehauptmann Wilh. Leonhardi.
- ↑ S. o. Anm. 159.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/232&oldid=- (Version vom 19.3.2025)