Garde der Sache besonders an. Er geht zu Görres auf sein Zimmer und fragt ihn, wie er sich unterstehen könne, der Person des Königs so sehr zu nahe zu treten. Natürlich erwidert dieser, wer ihm das Recht gebe, ihn hierüber zu konstituieren. Nach langem Wortwechsel hatte es endlich geschienen, zu Tätlichkeiten überzugehen. Mehrere bei Professor Görres anwesende Zivilisten hatten teilnehmen wollen und Dziembowski sich endlich genötigt gesehen, den Degen zu ziehen und zu drohen, den zu durchbohren, der ihn anrühre. So war der arme Dziembowski entkommen. Er hatte sogleich Wache herbeigeholt und Görres arretieren lassen unter großem Jubel der Einwohner. Dies war ohnstreitig Görres’ größter Arger, öffentlich und unter großer Begleitung die Stadt zu passieren. Auf der Wache hatte man ihn sehr bald für unwürdig erklärt, in der Offiziersstube zu bleiben. Er war daher in die Gemeinenstube gebracht und hierdurch den Raisonnements der Gardisten preisgegeben worden. General Thielmann und Lecoq waren beide abwesend gewesen. Letzterer war früher als ersterer zurückgekehrt und hatte allerdings sehr viel Ursache gehabt, mit dem Benehmen des Hauptmanns Dziembowski unzufrieden zu sein. Görres war auf seinen Befehl sogleich in Freiheit gesetzt und Dziembowski arretiert worden. Dem General Thielmann hatte er sogleich Meldung davon gemacht. Dieser hatte in dem Augenblick die Sache nicht so ernst genommen. Am folgenden Tage hingegen hatte er einen Tagesbefehl[1] zur Publikation erlassen für die, denen die Herren Brigadiers ihn bekannt zu geben für notwendig erachteten. In demselben hatte er das Benehmen des Hauptmanns Dziembowski als höchst straffällig, ihn aber auch zugleich als närrisch und wegen seines Wechsels der Religion von persönlicher Dankbarkeit zu sehr hingerissen erklärt. Der Närrischkeit wegen hatte er ihn ins Land versetzt und seinen augenblicklichen Abgang angeordnet. Hierbei hatte er ferner bemerkt, daß diese Gelegenheit ihm zu erkennen gebe, wie noch immer Offiziere ganz irrig an dem König hingen; er erkläre hiermit den Eid, den die Armee ihm geleistet habe, als aufgelöst[2]; nur allein in seiner (Thielmanns) Macht stehe es, Offiziere aus den Listen zu streichen. Wer dieses sein Verfahren nicht verstehe, könne jederzeit seiner Wege gehen. – Alles dies hatte die Gemüter gereizt, die Schwachen geweckt und einen jeden das despotische Benehmen dieses Mannes ganz kennen gelehrt. Durch diese seine Ordre, die exklusive General Brause alle Generale ihren Offizieren bekannt gemacht hatten, hatte jedermann den Gedanken fassen müssen, daß unter solchen Umständen das Schicksal aller in seinen Händen ruhe. In allen Herzen war der Wunsch aufgestiegen: wenn nur seitens der Armee etwas für den König könnte getan werden. Das Was? hatte jedoch immer noch einem gordischen Knoten geglichen, bis Kapitän Sahr[3] vom Jägerbataillon und Kapitän Senft[4] aus Sachsen zurückgekehrt waren. Durch sie war bei der Armee die erste Nachricht angekommen, daß seitens des Landes eine Deputation nach Prag an den Prinzen Max gegangen war, welche Adressen im Namen des ganzen Volkes übergeben hatte. Die Szene, die sich hierbei zugetragen, soll ungemein rührend gewesen sein. Jetzt hatte man endlich allgemein den Entschluß gefaßt, Adressen, mit Bescheidenheit abgefaßt, an die allierten Mächte einzureichen, um die Wünsche der Armee, daß der König zurückkehren möchte, an den Tag zu legen. – Das, was man allgemein will, findet sehr bald schnellen Fortgang. So war es auch hier gewesen. Sehr bald hatte man Adressen ziemlich einförmig an die Brigadiers gegeben, und unter der Anführung des Generals Lecoq waren sie den 1. September von sämtlichen Generalen seitens ihrer Brigaden, von dem Oberst Zezschwitz seitens des Generalstabes, von dem Oberstleutnant Raabe seitens der Artillerie überreicht worden. General Thielmann hatte sie sehr gut aufgenommen und besonders die legale und offene Weise, mit welcher die Armee ihre Wünsche an den Tag legte, sehr gebilligt; allein nur auf kurze Zeit; denn wenig Stunden darauf war er auf den Gedanken einer Inspiration österreichischerseits geraten, hatte sich überzeugt gehabt, daß General Lecoq und Oberst Zezschwitz, durch den General Langenau[5] veranlaßt, die ganze Unternehmung in der Armee angezettelt hätten und dieserhalb in einem Privatschreiben an den General Kleist und Minister Stein die ganze Sache in das gehässigste Licht gestellt.
Nur erst nach Louis’ Ankunft in Marburg hatte sich
- ↑ Abgedruckt bei A. v. Zezschwitz a. a. O., S. 235.
- ↑ Nach 1813 hatte Thielmann den preußischen und russischen Generalen gegenüber erklärt: „So sehr der General Thielmann die Sache Deutschlands für die Sache der Menschheit und also für die heiligste hält, so sehr glaubt er, daß das Band zwischen Untertan und Fürst nächstdem das Heiligste ist.“ Das war, als er sich noch weigerte, den Verbündeten die Tore Torgaus zu öffnen! (Vgl. Petersdorff a. a. O., S. 188.)
- ↑ Dietrich Aug. Sahrer v. Sahr.
- ↑ Hier ist wohl nicht der oben (Anm. 80) genannte Brigadeadjutant, sondern der Bannerhauptmann dieses Namens gemeint.
- ↑ Schwarzenbergs Generalstabschef. Er war 1813, nachdem der König Friedrich August sich wieder für Napoleon erklärt hatte, aus sächsischen in österreichische Dienste getreten. (Vgl. Wurzbach, Biogr. Lexikon des Kaisertums Österreich, 14. Teil.) Er hatte den Anschluß Sachsens an Österreich besonders betrieben und wirkte auch nach seinem Übertritte noch in Österreich zu gunsten Sachsens. Er war ein Bruder des oben (Anm. 77) genannten Hauptmanns v. Langenau und sehr befreundet mit dem Obersten Zezschwitz (s. „Aktenmäßige Darstellung u. s. w.“, S. 227).
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/225&oldid=- (Version vom 11.3.2025)