Größern taten, hart behandelt oder auf der Gasse öffentlich bestraft habe? Wenn ich ja in meinen eigenen Angelegenheiten einen verschickte, richtete ich es gern so ein, daß es nicht in seinen Freistunden, sondern unter der Kurrende oder auch wohl Kirche geschahe. Meine Perücke zum Akkommodieren hin und her zu tragen, habe ich von keinem Kleinen als eingeführte Schuldigkeit verlangt; aber ich hatte immer einen und den andern, der sich von selbst erbot, da ich selten etwas annahm, ohne es mit kleinen Geldgaben oder auf irgend eine andere Weise zu vergüten. Sehr oft trank ich bei Kindtauf-Ansingen keinen Wein, sondern ließ meinen Anteil den Untern zu gut gehen, wenn das Gegebene nicht bis auf alle herabreichte.
So glimpflich ich mich überhaupt gegen Niedere benahm, so ernstlich suchte ich mich itzt gegen meinesgleichen in Positur zu setzen. Einem und dem Andern, der, als ich ins Chor kam, 10–13 Stufen über mir war und den ich nun eingeholt hatte, ließ ich itzt seinen dummen Bauerstolz, mit dem er ehedem mich und meinesgleichen behandelt hatte, wieder fühlen. Überhaupt begann eine merkliche Umformung meines Temperaments, seitdem ich ins ganze Geld gerückt war. Der cholerische Anteil desselben siegte nunmehr über die melancholisch-phlegmatische Schüchternheit und stilles Schmiegen unter Übermacht, ohnerachtet ich sahe, daß es den Hals nicht kostete, wenn manche meiner Kameraden das Maul brauchten oder weniger Gehorsam bezeigten.
In der armseligen Lage, in der ich mich bisher befunden hatte, wagte ich es nicht, dem Gedanken, studieren zu wollen, nachzuhängen, entfernt von allen Aussichten der Möglichkeit dazu, so sehr er auch mein innerer Wunsch war. Ich strebte voritzt, es nur wenigstens soweit zu bringen, daß ich mit den nötigen musikalischen Kenntnissen, wie einige aus dem Chore getan hatten, um eine Schulmeister- oder Kantorstelle mich zu bewerben wagen dürfte. Aber seitdem ich nun in der ersten Klasse mehrere wissenschaftliche Fortschritte zu machen Gelegenheit fand, auch alljährlich Einer und der Andere von den Abgehenden ebenfalls ohne häusliche Unterstützung auf gutes Glück es wagte, die Akademie zu beziehen, reifte der Entschluß, es ebenfalls zu versuchen, bei mir immer mehr, zumal, da mein Rektor nicht viel Einwendungen dagegen machte. Daher ich itzt die mehrere Zeit auf die wissenschaftlichen Fächer verwandte, und da die Schullektionen zu magere Beiträge hierzu lieferten, mußte ich meiner Wißbegierde größtenteils durch Lektüre nachhelfen.
Als 1770 unser Präfekt das Chor verlassen mußte, beschlossen beide Lehrer gemeinschaftlich, mich von der vierten Stelle sogleich zum Adjunkt zu machen, da der an der Reihe stehende Tertius Wächter der musikalischen Direktion des Chors nicht gewachsen war. Ich bat aber ernstlich, ihn nicht zu übergehen, und erbot mich, in allen vorkommenden Fällen ihm freundschaftlich beizustehen, daß keine Fehler in meinem Beisein vorgehen sollten. Dadurch lehnte ich den Verdacht ab, als habe ich selbst nach seiner Stelle gestrebt, welches doch ganz gegen meinen Charakter war. Ich gewann dadurch bei meinen Lehrern sowohl als bei Wächtern, der von dieser Zeit an sich ganz besonders an mich anschloß, sowie ich dagegen alles tat, in Schulsachen sowohl als in Chorsachen ihm fortzuhelfen. Da er zu Ostern 1771 das Chor freiwillig verließ, rückte ich ohnedem an seine Stelle.
Itzt hatte ich als Adjunkt einige Vorteile mehr vor den andern Obern zu genießen, sowohl an Freiheit von manchen Chor- und Kirchendiensten, als an Zeit, die ich für mich nützlich anwenden konnte. Denn alle Kurrenden, Ansingen am Tage, Wochenpredigten und Betstunden hatte ich mit dem Präfekt Hofmann wechselsweise und folglich nur zur Hälfte zu besorgen. Vorzüglich aber war ich nun imstande, ganz meiner Neigung gemäß, Verbesserungen zu machen und mehr Ordnung einzuführen. Meine beiden Freunde, Hofmann und Diettrich, zwischen denen ich saß, halfen mir manches mit ausführen. Die Abneigung der Übrigen überwand ich teils durch Beharrlichkeit, teils auch zuweilen durch die Auktorität des Kantors. Von den damals vorhandenen Chormusikalien war wenigstens die Hälfte von meiner Hand geschrieben. Die meisten Sachen, die wir einer dem andern auswendig nachlernten, weil die Noten nicht mehr vorhanden waren und daher nur larifari mit vielen Schnitzern gesungen wurden, setzte ich regelmäßig auf, damit wenigstens die Anfänger in jeder Stimme sie richtig singen lernten. Alle Chorsachen ließ ich in den Schulschrank legen, dessen Schlüssel ich dem Präfekt überließ und mir einen eignen verschaffte. Alle diese und andere gute Einrichtungen habe ich nachher in großer Unordnung gefunden. Der Schrank stund offen, die Schlüssel waren verloren, Bücher und Stimmen lagen größtenteils zerrissen auf den Tafeln herum.
Wir hatten wenigstens alle Sonnabende große Singestunde mit Musik, welche der Kantor mit der Violine dirigierte, und wobei die eine Hälfte des Chors spielte, die andere aber sang. Bei solchen Singestunden sang ich nur selten, sondern spielte die Geige. Ich beredete den Kantor, in den Vespern vor einem Feste oder Feiertage statt der gewöhnlichen Motette ein Chor mit Instrumenten aufzuführen. Da er sahe, daß dieses guten Erfolg hatte, versuchte er es auch bei Brautmessen und andern nicht zu vollstimmigen Kirchenmusiken, wodurch er manchen Taler für fremde Musiker ersparete. Überhaupt war er, sowie in allen seinen Amtsgeschäften, so auch in Übung der Musik unermüdet. Selbst wenn Unpäßlichkeiten ihn hinderten,
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/184&oldid=- (Version vom 5.2.2025)