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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/172

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käme, wo alles besser gehen würde, als ich mir einbildete, zumal da ich ihm und seiner Familie gefallen hätte. Dies war mir auch die beste Beruhigung für den, meines Bedünkens mir verpfuschten Palmsonntag. Ich gab mir deswegen nun auch alle Mühe, das, was ich zeither gelernt hatte, noch recht fleißig zu repetieren und einzuüben, um auch in der Schule sogleich beim Eintritt eine gute Miene anzunehmen, wozu meine geschmeichelte Eitelkeit sich selbst gefällige Hoffnung machte.

Mit meinen Vorbereitungen verbanden meine Eltern denn auch die ihrigen, wozu diese Veränderung sie ebenfalls aufforderte. Im Ehrlichschen Gestifte wie in der Kohlschen Gemeindeschule war es freilich erlaubt, als Barfüßer, auch ohne Weste und Kopfbedeckung, sowie mit löcherichtem und defektem Anzuge zu erscheinen. Dieses fiel nun freilich in der Annenschule gänzlich hinweg, daher meine Eltern zwar auf einen ganz einfachen, aber doch ihren Verhältnissen angemessen anständigen Anzug vom Kopf bis zu den Füßen bedacht sein mußten. Da dieses ihre Ausgaben vermehrte, lamentierte meine an sich peinlich gestimmte Pflegemutter mehrmals darüber, dagegen der Vater in aller Stille auch hierzu Rat zu schaffen sich bemühete. Dies beruhigte mich einigermaßen, je mehr es mir wehe tat, wenn ich bemerkte, daß er eigentlich doch lediglich um meinetwillen itzt öfters einige Stunden nach dem Feierabende mit Extraarbeiten sich plackte.

Darüber verstrich denn die ganze Zeit zwischen Ostern und Pfingsten 1763, so daß ich nicht ehe, als Donnerstag in der Trinitatiswoche (2. Juni) als Extraner die Schule des Herrn Kantors besuchen konnte. Ich wurde zwar bei meinem Eintritte an die zweite oder sogenannte runde Tafel, doch nicht ganz zu unterst loziert, welches ich mit heimlicher Zufriedenheit, sowie auch mein Vater, für eine gute Zensur deutete. Ich fühlte auch in kurzer Zeit, daß ich die Saiten meines Zutrauens zu mir selbst doch nicht zu hoch gespannt habe, denn ich wurde nicht allein schon in der elften Woche an die erste oder lange Tafel gewiesen, sondern ich bemerkte auch, daß einige, die über mir saßen, noch weniger zu leisten vermochten als ich. Im ganzen waren jedoch meine itzigen Mitschüler gebildeter als alle bisherige, und ich hatte hier nicht nur mehr Gelegenheit, meine wenigen mitgebrachten Kenntnisse vorteilhafter zu produzieren, sondern auch mehr Antrieb für meine Ambition, denen, die mich übertrafen, nachzukommen, wozu ich in der Armenschule keine Veranlassung hatte. Ein Beweis der Zufriedenheit meines itzigen Lehrers sowohl als seiner Billigkeit war, daß er in Rücksicht der Vermögensumstände meines Vaters nur die Hälfte des gewöhnlichen Schulgeldes von ihm annahm.

Eine vorläufige Schilderung von ihm dürfte um so mehr hier zweckmäßig sein, da ich in der Folge nicht allein mit ihm in mancher näheren Verbindung gestanden, sondern ihm auch in verschiedener Rücksicht vieles Gute für die Gegenwart und Zukunft zu verdanken hatte.

Er hieß Ehrenfried Weber, war 1739 zu Stolpen geboren, auch daselbst sowie in Kamenz auf der Schule gewesen. In Leipzig hatte er erst ¾ Jahr studiert, als er Gelegenheit gefunden, das Kantorat in Hoyerswerda zu erhalten. Von da kam er 1762 als Annenkantor nach Dresden, wo er im Februar 1780 verstarb. Da er bereits im 20. Jahre sein erstes und im 23. Jahre sein zweites Amt antrat, war es freilich von ihm weder zu erwarten noch zu verlangen, daß er seinen mehr als doppelt so alten Vorgänger Drobisch[1] in literärischen sowohl als musikalischen Kenntnissen es gleich tun konnte. Es fehlte ihm freilich noch an so manchen Sprachkenntnissen, um die Schüler seiner Klasse für die Klasse des Rektors gehörig vorzubereiten. Indessen, was ihm von dieser Seite mangelte, ersetzte er durch die ihm vorzüglich eigene Gabe, das Wenigere, was er wußte, andern faßlich vorzutragen. Besonders zeigte er im Katechisieren eine eigene Gewandheit, die er nicht nur im Religionsunterrichte, sondern auch selbst in den lateinischen Anfangsgründen zu benutzen wußte, welche ich selbst durch seine Methode leichter aufgefaßt und genauer mir imprimiert habe. Verschiedene meiner damaligen Zeitgenossen, die ihm sonst eben nicht gewogen waren, haben als nachherige Schullehrer es ihm noch hintennach verdankt, daß sie durch ihn katechisieren gelernt hatten.

Er war ein ungemein tätiger Mann, den man immer arbeitend fand und der nur selten sich eine Zerstreuung erlaubte. Er hielt besonders in Chor- und Kirchendienstsachen streng auf pünktliche Ordnung und Sittlichkeit; war scharf gegen Fehler dieser Art, zuweilen auch zu hitzig und auffahrend, gegen die Kleinen nicht nur, sondern auch gegen die Größern, die er zuweilen dadurch disgustierte, aber auch diejenigen nicht minder human behandelte, die er von einer bessern Seite kannte. Er sorgte überhaupt für das Beste des Chors und suchte demselben etwas zuzuwenden. Auch für einzelne verwendete er sich bestens bei ihren Patronen oder bei der Bürgerschaft.

Nicht minder leicht und faßlich ist mir auch der musikalische Unterricht von ihm geworden, obschon natürliche Anlage und Lust meinerseits ebenfalls dazu beitrugen. So oft ich vorher Noten zu Gesichte bekam, schien es mir unbegreiflich, wie es möglich sei, durch diese Charaktere ebenso leicht und fertig musikalisch singen und spielen zu lernen, als ich durch die Figuren der Buchstaben Lesen gelernt hatte, welches ich doch

Anmerkungen

  1. Joh. Friedr. Drobisch, seit 1753, gest. 1762.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/172&oldid=- (Version vom 26.1.2025)