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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/127

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in meiner Erinnerung für diese Erscheinung. Sind Sie nicht mit dem Dresd. Zsch. verwandt? fragt er mich. Der bin ich selbst. – Er staunt, bewundert mein gesundes Aussehn, wozu ich mir sehr gratulire u. fragt, ob ich ihn denn nicht kenne? Ja, sage ich, Freund, ich hab Dich gleich erkannt, aber woher, u. wie Du heißt [weiß] ich nicht. – Ich bin Lindemann[1] von Zwickau. Kaum will ichs glauben, u. da ich jetzt so viel Bekanntschaft unterm Galgen habe, ist mir als träume ich noch. Wußte ich doch gewiß, daß Lindemann am 22. Juni mit Trützschler von den umschlagenden bad. Dragonern u. den Spießbürgern in Mannheim gefangen worden war, nachdem er einen bedeutenden Bajonetstich in die Seite erhalten hatte. Er erzählte nun damals habe man ihn auf Befehl des Gemeinderaths wieder freigegeben, weil dieser repressale Brandlegung gefürchtet. Bei Itzsteins Haushälterin hatte er sich verbunden u. etwas Geld geben lassen u. so Abends die Stadt verlassen. Da er aber hinkte, war er den inmittelst eingerückten pr. rothen Husaren aufgefallen. Diese hatten ihn in die Kornfelder verfolgt, er war dicht neben der Stichwunde in die Hüfte geschossen u. so wieder gefangen worden. Im elenden Gefängniß saß er bei Wasser u. Brod. Erst am 3. Tage konnte er sich einen Wundarzt zum Kugelausziehen erbetteln. Pflaster u. Charpie ist ihm nie verabreicht worden. Nach 5 Wochen wurde er zum 1. Male von Stadtamtmann Babo verhört. Zu leugnen war nichts, er war Adjudant bei Corvin u. Trützschler gewesen. Auf seine Frage erklärt ihm Babo frei, er werde dem Standrechte nicht entgehn. Jetzt dachte er an die Flucht u. machte mehrere verwegene Pläne, besonders hatte ihm ein neben ihm brummendes demokr. Dienstmädchen versprochen, sogleich nach ihrer Freilassung ihm in Babuschen eine Uhrfedersäge zu verschaffen, um die Gitter zu sprengen. Doch mußte geeilt sein. Er bat unter dem Vorgeben, Verschiedenes vergessen zu haben, um neues Verhör u. wollte dem Polizeier, der ihn durch einige Straßen führen mußte, entlaufen. Doch wars unmöglich, da er noch zu sehr hinkte u. überall Wachen standen. Nach dem Verhör ist nicht gleich der Polizeier zum Zurückführen da. Babo stellt den L. daher in eine Copistenstube, ihn den Copisten einstweilen übergebend. Es schlägt 12 u. der jüngere Copist geht fort u. nur ein ziemlich alter bleibt. Nach einigen Minuten fängt dieser an: „Sie warten wol auf Jemand?“ Lindem. merkt aus dieser naiven Frage u. dem Ton der Sprache, daß der Alte halbtaub ist u. von Babos Worten nichts gehört hat, sagt ganz trocken: „Ja, ich weiß gar nicht wo er bleibt; ich werde ihm lieber entgegengehn.“ „Thun Sie das“ – spricht der Alte in seiner Gutmüthigkeit. L. schleicht fort, mitten durch Militär u. Wachen hindurch, erreicht glücklich die Gasse u. endlich die freie Landstraße. Dort jagt er einem Glasergesellen seinen Glaskasten pp. ab, u. geht als Glaser weiter. Erreicht glücklich Würtemberg u. die Schweiz u. freut sich seines Lebens. Er möchte gern seinen Bruder, den Collabor, an d. Kreuzschule gegrüßt haben. Das besorgen Sie wol? Nichtwahr? Er wohnt jetzt bei mir u. hofft auf baldige Bemoosung. Die bemooste Seite ist überhaupt bei Flüchtigen sehr empfindlich, schwach u. leicht angreifbar.

Da aber das Papier alle ist, so müssen Sie hiermit zufrieden sein.

Behalten Sie lieb Ihren scheidenden Collegen

Zschetzsche.     

Als darauf am 31. August, nachdem man einen Brief von Seyffart an Z. abgefangen hatte, ein Steckbrief (gemeinsam mit Jäkel) gegen ihn erlassen wurde, war das Band, das ihn noch mit seiner Heimat verknüpfte, für immer zerrissen, und er mußte nun versuchen, in der Schweiz oder sonstwo im Auslande sich eine neue Lebensstellung zu erringen. Allmählich verließ mancher Freund und Bekannte, zumal da die Schweiz sich genötigt sah, eine Anzahl der schwerer gravierten Flüchtlinge auszuweisen, das Land, um sich in Amerika eine neue Heimat zu gründen. So wanderten dahin Munde, Schärff, Heine, Feldner u. viele andre. Als Hennig Anfang Oktober mit einem Schiffscontrakt nach Neu-Orleans in der Tasche Zürich verließ, da gaben die meisten der in dieser Stadt anwesenden Sachsen ihm das Geleite. Wohl hatte auch Z. ursprünglich den Plan gefaßt, nach Amerika auszuwandern, besonders deshalb, weil mehrere Versuche, sich eine feste Stellung in der Schweiz zu verschaffen, zunächst fehlschlugen. Denn es war für den Lehrerstand schwierig, hier festen Fuß zu fassen, war doch unter den Flüchtlingen in der Schweiz die deutsche Lehrerschaft stark vertreten. Mancher mußte wohl oder übel zusehen, auf anderem Gebiete sich durchzuschlagen, so versuchte Lindemann aus Zwickau sein Glück als Chorist und Schauspieler in kleineren Rollen und erregte im Lustspiel durch seinen breiten, sächsischen Dialekt viel Heiterkeit. Z. beschloß fürs erste mit zwei andern Lehrern die Fröbelsche Schule in Zürich bis Ostern 1850 weiterzuführen. Sehr belustigte ihn die Mitteilung sächsischer Blätter, wonach er von

der französischen Regierung beauftragt worden sei, die


  1. Eduard Lindemann, Konrektor in Zwickau, s. Freimüthige Sachsenzeitung Jahrg. 1849 Sp 1153; Dresdner Zeitung Jahrg. 1849 S. 816, 1098, 1142, 1418. Vgl. auch Corvin „Aus dem Leben eines Volkskämpfers“ III S. 251, 266 f., 294.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/127&oldid=- (Version vom 18.2.2025)