der Stadt Quartier. Schon in der Nacht wurden wir aber wieder allarmirt und blieben bis andern Mittags unter den Waffen, doch wurden nur wenige Schüsse gegen ein Kavalleriebiket gewechselt. Ich hatte einen lahmen Fuß u. wurde deshalb Abends nach Freiburg geschickt, um eine Ordre zu überbringen (p. Dampf). Dort habe ich noch 2 Tage im Bureau gearbeitet, dann aber mich gezogen, weil mich die Fäulniß in den oberen Schichten der Revolution anekelte. Ich ging nach Basel, wo schon viele Flüchtlinge eingetroffen waren. Ihre Zahl vermehrte sich nun von Tag zu Tag. Nach einigen Tagen ging ich nach Arau, wo ich noch etwas vom großen eidgenössischen Freischießen zu sehen bekam. Rector Rauchenstein[1] war dabei sehr beschäftigt, daher es mir nur am 2. Tage gelang, ihn einen Augenblick zu sprechen. Es ist ein vernünftiger Kerl, so gut man sie unter Zopfmännern treffen kann. Er sprach von Dir mit vieler Achtung. Für mich selbst hatte er wenig Trost, da in der Schweiz durchaus kein Mangel an Lehrkräften sei. Doch gab er mir eine Empfehlung an den Regierungsrath des Cantons Bern mit, die ich aber bis jetzt noch nicht habe benutzen können, weil der betr. Herr im Bade sitzt. Rauchenstein selbst war leidend u. wollte gleich nach dem Schießen ins Bad Pfävers. Die von Dir gewünschten Schriften wollte er Dir nach seiner Rückkehr, so weit er sie selbst noch besitze, schicken. Auf dem eidgenössischen Freischießen wurde mir auch noch ein Mal die Ehre zu Theil arretirt zu werden, weil ich keine Papiere hatte, u. zwar das erste Mal durch einen geheimen Polizeier. Doch half mir Rauchenstein bald aus der Klemme, und beschwerte mich beim Regierungsrathe über die Infamie ihrer geheimen Polizei, was dem betr. Schnüffelanten eine ernstliche Rüge zugezogen hat. Auf dem Freischießen traf ich auch Kell, Ludwig v. Pegau, Reimmann Hohlfeld[2]. In Basel Oskar Stein aus Oederan, welcher auf der dortigen Saline eine Hauslehrerstelle fand. Hoßfeld aus Leipzig wurde in Baden (C. Aargau) Schriftsetzer. Nun fing aber der große Troß der Flüchtigen an, die Schweiz zu überschwemmen. Ein trauriger Anblick! Besonders hat mir die herrliche brave Artillerie, die sich in Baden überall außerordentlich brav schlug, leid gethan. In Zürich angelangt fand ich bei Fröbels ziemliche Mißstimmung, da sie unter der ganzen Affaire sehr zu leiden hatten. Es lagen bei ihnen wol 15 Briefe unter falschen Adressen u. 6 oder 8 Koffer u. Pakete, von denen sie meist selbst nicht wußten, wem sie gehörten. Ich werde daher Fröbels möglichst ungeschoren lassen, zumal sie sehr beschäftigt sind u. in einer etwas klemmen Lage sich zu befinden scheinen. Jul. Fröbel[3] war auch da, ist aber jetzt mit Zitz u. Bamberger nach Genf u. Frankreich abgereist. Auch Maler Kaufmann[4] aus Dresden ist mitgegangen. Die von Heinzmann erhaltene Empfehlung an Dr. Bach ist mir lieb gewesen, da ich hierdurch wenigstens eine neutrale Adresse für meine Briefe erhielt. Bach selbst ist ein lieber Mann, aber fürchterlich beschäftigt. Bei ihm ist seit einigen Wochen sein Schwager Dr. Hürlin, Adv. aus Kirchheim bei Stuttgart ein äußerst fideler Schwob, der schon etwas in Zürich bekannt war u. mich führte. Von Bekannten soweit ich mich im Augenblick erinnere habe ich bis jetzt hier getroffen: Lindemann[5] v. Dresden (welcher in Freiburg zuletzt Regimentsquartiermeister bei der Kavallerie war, aber schon am 3. Tage kein Regiment mehr hatte, weil dasselbe zersprengt war) Jäkel, der bl. Rock[6]. Diese beiden wohnen zusammen. Tzschirner u. Gruner[7], welche zusammen wohnen. Letzterer war in Baden Generalstabsauditor. Seit gestern Abend ist auch Todt hier, der bis jetzt im Weimarschen versteckt gelebt hat. Marschall v. Biberstein[8] ist der erste Dresdner Flüchtling hier gewesen, er erwartet nächster Tage seine Frau. Der Kerl ist aber ein Narr u. rennomirt (!) fürchterlich. Er giebt sich überall für den Compromittirtsten der Dresdner aus. Behn
Eschenburg[9] ist hier, hat aber keinen Zögling mehr,
- ↑ Rudolf Rauchenstein, Philolog und Schulmann, 1798 bis 1879, s. Allgem. deutsche Biographie Bd. XXVII S. 392 ff.
- ↑ Advokat Kell s. Freimüthige Sachsenzeitung Jahrg. 1849 Sp. 1153; Dresdner Zeitung Jahrg. 1849 S. 1200, 1418; nicht zu verwechseln mit dem Rektor Julius Kell, s. Dresdner Zeitung Jahrg. 1849 S. 840; Jahrg. 1850 S. 117. Kell, Reimmann und Hohlfeld aus Löbau waren Mitglieder der Linken im sächsischen Landtage. Ludwig, Stein und Hoßfeld gehörten wohl alle drei dem sächsischen Lehrerstande an.
- ↑ Julius Fröbel vgl. außer Dresdner Zeitung Jahrg. 1849 S. 1362, 1511; Jahrg. 1850 S. 33 ff. im allgem.: Allg. deutsche Biographie Bd. XLIX S. 163 ff.
- ↑ Theodor Kaufmann, geb. 1814, s. außer Dresdner Zeitung Jahrg. 1849 S. 1418; Jahrg. 1850 S. 33 auch Allg. Künstler-Lexikon Bd. II S. 314.
- ↑ Hermann von Lindemann (auch Lindeman), mit Wittig ehemaliger Redakteur der Dresdner Zeitung, s. diese Jahrg. 1849 S. 1418; Jahrg. 1850 S. 71, 495.
- ↑ Jäkel erhielt den Spitznamen „Der blaue Rock“, weil er als Landtagsabgeordneter beständig einen solchen statt des üblichen Fracks trug; er wirkte später an der thurgauischen Kantonschule, s. E. Böckel, H. Köchly S. 138.
- ↑ Advokat und Gerichtsdirektor Gruner gehörte zur Linken des sächsischen Landtags.
- ↑ Advokat und Gerichtsdirektor Marschall v. Biberstein war später a. d. Züricher Univers. als Dozent der Nationalökonomie tätig.
- ↑ Behn-Eschenburg, 1814–73, leitete 1844 in Dresden ein Erziehungsinstitut für junge Engländer, s. Allg. deutsche Biographie Bd. II S. 284.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/124&oldid=- (Version vom 18.2.2025)