machte ich dieselbe Bemerkung. Mein Reisegefährte rieth mir, lieber mein verfängliches Papier gänzlich zu beseitigen. Und ich sah ein, daß er Recht hatte, u. thats. Dieser Umstand wird jetzt wieder mein Unglück, wie Du später hören sollst. In St. Martin gabs auch Douane. Man fragte mich, ob ich Zollbares habe. Ich sagte sehr getrost: Nein, nur das Nöthigste für den Leib führe ich bei mir. Dennoch mußte ich die Taschen öffnen. O ich unglückseliges Käsekäulchen! Da waren meine sämmtlichen neuen Sachen sämmtlich noch in denselben Papieren, wie wir sie im Laden erhalten hatten, selbst die schon getragenen Rock u. Weste hatte ich sorgsam wieder in dieselben eingewickelt. Natürlich hatte man mit dem verdächtigen Subjecte keine Nachsicht. Das waren alles neue ungetragene Sachen, ja an jedem Stücke klebte sogar noch der Preiszeddel, das mußte verzollt werden. Man murrte über meine vorige Verläugnung, redete sogar von strafbar u. machte mir eine Berechnung von 1 Fr. 80 Cts. Mein Glück, daß ich die Schuhe u. Hosen am Leibe hatte. Ich wendete ein, daß Rock u. Weste schon getragen sei, man wieß dies aber als unwahr zurück. Schon suchte ich nach den 180 Cts als mir die unselige Bratensauce im Hotel de Flandre einfiel. Du wirst Dich erinnern, daß ich dort beim table d’hote Pech hatte und meinen Rock mit Schöpsbrühe taufte. Jetzt lohnte jenes Unglück! Rasch suchte ich den Rock wieder aus der Tasche hervor, suchte das braune Corpus delicti auf und lieferte damit den Beweis, daß der Rock schon getragen sei. Auch die Weste besah ich noch ein Mal, aber sie mußte damals glücklicher gewesen sein, denn ich konnte keinen Flecken entdecken, u. darum mußte sie jetzt sammt Hemden, Strümpfen, Tüchern u. einer in Namur gekauften Unterhose dem Schröpfkopfe der Douane erliegen. Doch ermäßigte sich die Rechnung durch den Wegfall des Rockes auf 1 Fr 20 Cts. – Jetzt zurück nach Sarreguemines[1], wo wir Abends nach 7 Uhr anlangten u. die Erlaubniß erhielten im Hotel de poste ein Mittagsmahl einzunehmen. Dasselbe that auch wahrlich sehr Noth, denn die theuern metzer Kalbsfüße vom Morgen schienen aus meinem Magen weiter gewandert zu sein. Ich verschlang gierig die Suppe u. ein Stück Rindfleisch u. war eben daran meine 3 fr. p. Couv. u. 1. fr. p. 1/2 Fl. Wein zu bezahlen, als mich ein Unvermeidlicher – Du wirst diese Klasse nun wohl kennen – in das Nebenzimmer zu treten bat u. meine Papiere zu sehen wünschte. Obgleich es da nun nichts zu besehen gab, u. also die Sache sehr kurz hätte abgemacht sein können, so begann doch das altbekannte Examen aufs Neue im schönsten Elsasser Deutsch u. war noch nicht beendigt, als schon der Postillon bließ u. drin die gesammte Gesellschaft aufsprang. Jetzt riß mir aber meine Geduld! ich rannte hinein ohne noch ein Wort zu sagen, um meinem Magen noch etwas zu erobern. Der Gensdarme mir nach. Auf dem Tische fand ich viele leere Schüsseln, die letzten Überbleibsel einer schönen Gegend, auf meinem Teller, wo ich einen 5 fr thaler zurückgelassen, einen wiedergegebenen einsamen Franken, auf den Desserttellern einiges Bisquit, wenige Himbeeren u. Erdbeeren. Der Gensdarme fragte: ob ich denn gar keine Papiere habe? Nein! schrie ich u. trank mein Glas aus, die Kellnerin rief ich sollte schnell machen, der Postillon bließ zum dritten Male. In der Verzweifelung schüttete ich die sämmtlichen Rudera vom Dessert in die Mütze, steckte die Weinflasche u. das Brod in die Tasche u. rannte hinaus. Im Nu war ich oben beim Conducteur. Der Gensdarme schrie: halt, wo wollen Sie hin? Zum Teufel! brüllte ich, während der champagnerverbrüderte Freund Conducteur den Postillon zum Fortfahren kuffte. Die 6 Braunen zogen rüstig an, fort gings im Gallopp zum Teufel der hoffentlich nicht nach dem Paß fragen wird. Meine Himm- u. Erdbeeren waren in der Eile zu Brei zerquetscht, – mein armer treuer Stock steht vielleicht jetzt noch verlassen hinter dem Saigerhause der Gaststube zu Sarraguemines. Ach, daß ihm ein böser Geist Leben geben möchte. Er würde gewiß auf dem Rücken aller französ. Policisten so lange herumtanzen, bis seine Splitter in alle Winde zerstäubten.
Doch ich will mich nun kürzer fassen, um Dich nicht zu langweilen. Aber das unterbrochene Essen wurmt mich heute noch – mein Haß auf die französische Republik hatte seinen Gipfel erreicht. Die einbrechende Nacht verschaffte mir 2 Stationen Ruhe, am grauen Morgen aber wiederholte sich in Hagenau der alte Witz. Am Vormittag kamen wir nach Straßburg, doch mein Freund Conducteur bereitete mich schon bevor wir die Spitze des Münsters erblickten auf mein letztes herbes Schicksal vor. Ich sah demselben mit Ruhe entgegen, u. bereute nur Dir versprochen zu haben, daß ich nicht nach Baden gehen wolle. Am Thore der Festung gings wie in Metz. Ich wurde arretirt u. von 2 Soldaten auf die Polizei geführt. Die beiden glücklichen Rothhosen mochten aber in ihrem Leben noch wenig mit der Police zu thun gehabt haben, denn keiner von ihnen hatte eine Ahnung, wo diese vortreffliche Institution der Republik logiren könnte. Nachdem man mich
ziemlich durch die ganze Stadt spazieren geführt, u. schon 2 Mal an falschen Bureau[s] meine Wenigkeit
- ↑ Saargemünd.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/122&oldid=- (Version vom 18.2.2025)