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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/120

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u. auf dem Altmarkt aufgestellt. Einen freien Augenblick benutzte ich die Meinigen nach 3 tägiger Trennung zu sehen. Zu Haus angelangt, mußte ich mich an der 1ten Barrikade unserer Straße[1], welche dem politech. Institut gegenüber stand, melden u. den Dienst bis Mittwoch den 9 Mai früh 1/28 Uhr versehen. Um 8 Uhr marschirten die ersten preußischen Truppen bei m. Wohnung vorüber.

Die preuß. Truppen haben sich im Durchschnitt gut benommen, dagegen die sächsch. sehr schlecht. Von diesen sind die größten Scheußlichkeiten noch nach Beendigung des Kampfes ausgeübt worden.[2] Diese haben wehrlose u. gebundene Gefangene mißhandelt u. von der Brücke in die Elbe geworfen, andere gleich auf der Stelle erschossen. In den Lazarethen liegende Verwundete kaltblütig erschlagen, z. B. bei einem m. Bekannten Dr. Geiler[3]. Trotz aller offiziellen Berichte hat das Militair gegen 400 Todte; auf Seiten der Vertheidiger sind gegen 600 Todte.[4]

Im Ganzen wurde der Belagerungszustand gelind gehandhabt, seit einigen Tagen ist er dagegen verschärft worden. Die Erbitterung die hier in den mittleren u. niederen Volksklassen herrscht, ist noch groß, in den übrigen Landestheilen sieht es nicht anders aus, u. ich fürchte wir gehen noch großen und schweren Kämpfen entgegen.

Leb wohl! Leb wohl mein theurer Freund! Hoffentlich sehen wir uns in nicht zu langer Zeit unter glücklicheren Verhältnissen wieder. Kann ich Dir irgend wie nützlich sein, verfüge über mich.

Gedenke zuweilen Deines Dir stets treu ergebenen Freundes

G. Sch[wen]der.     

II.
Gustav Zschetzsche.

Eine für ganz Sachsen, insbesondere für unser Dresden verhängnisvolle Zeit waren die Maitage des Jahres 1849 nicht etwa bloß in der Hinsicht, daß Hab und Gut vieler Bürger schweren Schaden litt und das Leben manches wackeren Mannes verloren ging, sondern nicht zum wenigsten auch deshalb, weil nach Niederwerfung des Aufstandes eine große Anzahl hervorragend tüchtiger Männer für immer Sachsen den Rücken wandte, um in andern Ländern eine weithin segensreiche Tätigkeit zu entfalten. Denn „kaum irgendwo haben sich so viele Männer von hervorragendster Bedeutung und lauterstem Charakter als Mitglieder beteiligt, wie an dem Dresdner Aufstand. Kaum irgendwo ist auch, trotz der erbärmlichsten Führung, mit solcher Todesverachtung und Ausdauer gegen die Truppen gekämpft worden, wie hier“.[5] Und wenn wir auch Tzschirner und Bakunin zu den gewerbsmäßigen Revolutionären rechnen müssen, so gaben doch diese dem Aufstande nicht sein Gepräge, er erscheint „mehr als irgend ein andrer, als ein Aufstand der Bürgerschaft Dresdens und fand Unterstützung bei den Bürgern andrer sächsischen Städte . . . Männer wie Semper, Wagner, Köchly, Todt, Heubner, der Chemnitzer Fabrikant Dolge und andere bewiesen, daß nicht nur Dichter und Poeten, sondern auch Vertreter der Verwaltung und des Geschäftslebens die Überzeugung hegten, der Augenblick sei gekommen, alles an alles zu setzen, selbst das Unheil einer Revolution nicht zu scheuen, um dem deutschen Volke das langersehnte Vaterland zu schaffen“.[6] Dieser Bewegung schloß sich auch eine große Anzahl von Geistlichen und Lehrern an, deren Namen die Freimüthige Sachsenzeitung Jahrg. 1849 Sp. 340 fast vollständig aufführt. Unter den daselbst verzeichneten Lehrern dürfte der an letzter Stelle genannte Zschetzsche (nicht Zetsche!) in Dresden zu denjenigen gehören, die unserem engeren Vaterlande nach glücklicher Flucht ins Ausland durch ihre Wirksamkeit zur Ehre gereichen.

Gustav Friedrich Zschetzsche stammte aus Meißen und suchte sich nach seminaristischer Vorbildung durch Studien an der Dresdner polytechnischen Schule weiterzubilden. Am 28. Januar 1826 geboren war er im Jahre 1849 an der hiesigen 2. Bürgerschule als Hilfslehrer tätig, unterrichtete aber außerdem noch an der unter Dr. Mundes Leitung stehenden Dresdner Handelsschule. Erfüllt von den fortschrittlichen Ideen seiner Zeit, bessonders auch auf dem Gebiete des deutschen Unterrichtswesens, schloß er sich mit großer Wärme dem reichlich zehn Jahre älteren Hermann Köchly an. Wie weit seine Beteiligung an der Volkserhebung reichte, läßt sich aus dem vorliegenden Material nicht mehr nachweisen; doch gehörte er zu denjenigen Männern, die bald nach Niederwerfung des Aufstandes von ihrem Amte suspendiert wurden. Großes Verdienst erwarb er sich um Köchly, dessen Flucht er ins Werk setzte und so glücklich bewerkstelligte, daß beide ohne Gefahr

Brüssel erreichten.[7] Nach kurzem Aufenthalte in


  1. Breite Gasse.
  2. Vgl. hierzu v. Waldersee S. 179 f. und August Röckel (Sachsens Erhebung usw.) S. 175 ff.
  3. Gemeint ist wohl der in der Frauengasse wohnende Dr. med. Keiler.
  4. Nach den offiziellen Angaben betrugen die Verluste bei den preußischen Truppen: 8 Tote und 38 Verwundete, bei den sächsischen: 22 Tote und 64 Verwundete, s. v. Waldersee S. 221 f.
  5. Hans Blum, „Die deutsche Revolution 1848–1849“ (1897) S. 398.
  6. Georg Kaufmann, „Politische Geschichte Deutschlands im 19. Jahrh.“ S. 370 ff.
  7. Vgl. E. Böckel, Herm. Köchly (1904) S. 116 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/120&oldid=- (Version vom 18.2.2025)