Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin | |
|
dem Giorgione lassen sollen, jedenfalls, meinen sie, wenn es schon ein Werk von Giorgione sei, so sei es „in the spirit of Pordenone“ gemalt; später aber (Bd. II, S. 287), rechnen sie das Bild diesem letztern Meister zu und bemerken dabei, daß in derselben Art gemalte „Sibilla“ im Jahre 1632 in der Sammlung Canonici zu Ferrara als ein Werk des Pordenone aufgestellt, jedoch als „Prudenza“ bezeichnet gewesen sei. Zuerst also erschien es ihnen als eine Arbeit von Giorgione im Geiste Pordenone’s, später als von Pordenone im Geiste des Giorgione gemalt. Doch über dieses schöne Bild werde ich mich später aussprechen. Betrachten wir zuerst No. 582. Das Bild stellt einen mit einem Fuchspelz bekleideten Mann in den dreißiger Jahren dar, mit scharfem, lebendigem Blicke, eine durch und durch italienische Physiognomie.[1] Die Auffassung ist geistreich, die Darstellung aber vielleicht ein wenig zu sehr auf Effekt berechnet. Der verstorbene Mündler, wie ich höre, und nach ihm auch die Herren Crowe und Cavalcaselle (Bd. II, S. 159) gaben dieses Porträt dem Palma vecchio. Das Gemälde hat sehr gelitten, es ist verputzt und hat daher fast alle seine röthlichen Fleischtöne eingebüßt. Nun kommt allerdings dieser effectvolle Kopf dem Palma vecchio sehr nahe, betrachte ich aber die schwarzen Schatten, die runde, nicht Palma’sche Form des Ohres, die starke röthliche Lasur auf dem Nasenrücken, so erscheint mir dieses Bildniß eher als ein ganz ausgezeichnetes Werk eines Schülers und Mitarbeiters des Palma, nämlich des Giovanni Cariani aus dem Brembothale bei Bergamo. Mehrere gute Porträts von diesem befinden sich in der Stadtgalerie von Bergamo; man betrachte daselbst namentlich die zwei im großen Saale, vor Allem den „Mann mit breitkrämpigem
- ↑ Der sehr oberflächliche Commentator der venezianischen Meister im Werke des Vasari (Ed. Le Monnier) bemerkt zu diesem Bildnisse: „Was das von Ridolfi angeführte Porträt eines Fugger, von Giorgione gemalt, anbelangt, so können wir versichern, daß dasselbe sich in der Münchener Pinakothek befindet. (Vasari, Bd. 7, S. 86.)
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/35&oldid=- (Version vom 31.7.2018)