Zu verwundern war es, wie der todkranke Mann auf seinem einsamen Hofe, durch den Zuspruch des Geistlichen und die genossene Wegzehrung sich erleichtert fühlte. Denn kaum hatte ihn jener verlassen, so erhob er sich von seinem Lager und befahl seinem sechzehnjährigen Sohne, der allein bei ihm war, am Fenster nachzusehen, ob keine Wolke am Himmel sei? Die Antwort lautete: es komme ein Wölkchen, doch nicht größer als ein Hut, über den Schwarzenberg her. Noch zweimal mußte der Sohn nach der Wolke sich umsehen. Das erste Mal hinterbrachte derselbe, sie sei bereits so groß, wie eine Badwanne; das zweite Mal, nun habe sie die Größe eines Scheuernthores. Da befahl der Vater, ihn geschwind auf den Lusenberg zu tragen, sowie die besten Habseligkeiten dahin zu flüchten; denn Gottes Gericht breche jetzt über das Thal herein.
Nachdem sie auf der Höhe angelangt waren, sahen sie zu, wie das Gewitter, welches sich inzwischen über dem Thale zusammengezogen hatte, mit schrecklichen Blitzen und Donnerschlägen und einem Wolkenbruche ausbrach. Alle Gebäude im Thale, nur die Kirche und der oberste Hof ausgenommen, wurden vom Wasser weggerissen, alle Bergwerke verschwemmt und von der ganzen Einwohnerschaft nur der alte Mann mit seinem Sohne und ein kleines Kind am Leben erhalten. Dieses Kind, ein Knäblein, schwamm in seiner Wiege mitten in der Fluth und bei ihm befand sich eine Katze. So oft die Wiege sich auf eine Seite neigte, sprang die Katze auf die andere und brachte sie dadurch wieder in’s Gleichgewicht. Auf solche Weise gelangte die Wiege glücklich bis unterhalb Buchholz, wo sie im Dolden (Wipfel) einer hohen Eiche hängen blieb. Als der Baum wieder zugänglich geworden war, holte man die Wiege herab und fand Kind und Katze lebend und unversehrt. Da Niemand wußte, wer des Knäbleins Eltern gewesen, so nannte man es nach dem Wipfel des Baumes
Heinrich Schreiber: Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau. Franz Xaver Wrangler, Freiburg 1867, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Volkssagen_der_Stadt_Freiburg_im_Breisgau.djvu/86&oldid=- (Version vom 31.7.2018)