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Walter Ledig, Ferdinand Ulbricht: Die Sekundär-Eisenbahnen des Königreichs Sachsen |
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Eine wichtige Rolle in der Entwickelung des Deutschen
Sekundärbahnwesens spielte von Anfang an die Frage, in
welcher Weise die Gütertarife derartiger Bahnen und zwar
speziell der Schmalspurbahnen zu gestalten seien. Es handelte
sich hierbei namentlich darum, ob das für die Primärbahnen
bestehende Tarifsystem mit allen seinen verschiedenen Klassen
auf die Sekundärbahnen übertragen werden könne, oder ob nicht
statt dessen für die Bahnen dieser Gattung ein einfacheres Tarifsystem
zur Einführung zu gelangen habe. Dabei erschien es
namentlich auch zweifelhaft, ob die für die Hauptbahnen bestehenden
allgemeinen Vorschriften über die Anwendung der
Tarife sowie über die Genehmigung der Aufsichtsbehörde zu
Tarifänderungen, namentlich zu Tariferhöhungen, auch für die
Sekundärbahnen beizubehalten seien, oder ob nicht den Bahnen
dieser Gattung prinzipiell die freie Gestaltung ihrer Tarife –
nach Befinden selbst durch Verträge mit Privaten – gestattet
werden müsse und nur gegen den etwaigen Missbrauch
dieser Freiheit gesetzliche bezw. vertragsmässige Garantieen zu
beanspruchen seien.
Da die fachmännischen Ansichten, die hierüber laut wurden, zum Theil aus einander gingen, sah sich der Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen im Jahre 1880 veranlasst, diese Angelegenheit in den Kreis seiner Berathungen zu ziehen und überwies dieselbe zunächst der Kommission für Angelegenheiten des Güterverkehrs zur weiteren Behandlung. Die Vereinsorgane liessen sich hierbei von der Erwägung leiten, dass die Regelung dieser Tariffragen nicht nur formell zur Kompetenz des Vereins gehöre, sondern dass auch die einzelnen Vereinsverwaltungen, von welchen schon damals viele im Besitze derartiger Lokalbahnen sich befanden, ein lebhaftes Interesse an der baldigen und sachgemässen Lösung der noch vorhandenen Zweifelsfragen besässen.
Leider gelangen die Berathungen, welche infolge dessen von der bezeichneten Kommission bezw. der von dieser eingesetzten Subkommission gepflogen wurden, zu keinem bestimmten Abschluss. Gleichwohl hatte aber die vom Verein gegebene Anregung den Erfolg, dass ein sehr umfangreiches und werthvolles Material über diese Frage gesammelt wurde, dessen Benutzung den einzelnen Verwaltungen nachmals von grossem Werth gewesen ist. Auch trugen die wiederholten Berathungen innerhalb der Kommission dazu bei, wenigstens im allgemeinen unter den betheiligten Verwaltungen eine Uebereinstimmung betreffs der bei der Tarif bildung für Sekundärbahnen in Betracht kommenden generellen Gesichtspunkte herbeizuführen.
Es wurde hierbei zunächst anerkannt, dass die Wahl des Tarifsystems – wie dies in den thatsächlichen Verhältnissen selbst begründet ist für jede einzelne Sekundärbahn an erster Stelle von den im einzelnen Falle vorhandenen technischen Voraussetzungen speziell von der Spurweite abhängig zu machen sei. Bekanntlich stützt sich das in einem grossen Theile des Vereinsgebietes gültige und auch für den internationalen Verkehr mannigfach adoptirte Tarifsystem auf den Grundsatz der Ausnutzung der Wagentragkraft und zwar einer Wagentragkraft von 10 000 kg. Hieraus ergibt sich von selbst, dass auf solchen Linien, wo Wagen von 10 000 kg nicht verkehren können, auch das normale Tarifschema nicht eingeführt werden kann. In der Regel wird dieser Fall aber bei allen schmalspurigen Bahnen eintreten; für solche Bahnen kann mithin die Annahme des Tarifsystems der Hauptbahn gemeinhin nicht in Frage kommen.
Anders liegen die Verhältnisse bei Bahnen mit normaler Spurweite. Hier wird präsumtiv die gedachte Voraussetzung nämlich die Verwendbarkeit von Wagen zu 10 000 kg – immer vorhanden sein, da die normale Spur erfahrungsgemäss in der Hauptsache nur zu dem Zwecke gewählt wird, um den Uebergang der Transportmittel zwischen Haupt- und Nebenbahn zu ermöglichen. Im allgemeinen kann also für derartige Bahnen gesagt werden, dass dieselben das Tarifsystem der Hauptbahnen einführen können, nicht einführen müssen.
Hiernächst war – wie auch bei den Berathungen innerhalb der Vereinskommission allseitig anerkannt wurde – vor allem darauf Gewicht zu legen, dass auch rücksichtlich der normalspurigen Bahnen kein bestimmtes, ein für allemal bindendes Tarifsystem staluirt werde. Denn die Nothwendigkeit, sich den individuellen Verhältnissen der von der Bahn erschlossenen und durchzogenen Landschaft nicht nur in technischer, sondern auch in merkantiler Hinsicht anzuschliessen, folgt so sehr aus dem Charakter der Sekundärbahn, dass ein Zwang betreffs einheitlicher Regelung der Tariffrage dem Zwecke und der Aufgabe solcher Bahnen direkt entgegenlaufen würde.
Die Entscheidung der Frage, ob die normalspurige Sekundärbahn das System der Hauptbahn annehmen solle oder nicht, ist hiernach zunächst immer von dem Charakter und der geographischen Lage der einzelnen Bahnlinie abhängig zu machen. Ist die Bahn hauptsächlich bestimmt, direkte Verkehrsbeziehungen mit der Hauptbahn zu vermitteln und schliesst sie unmittelbar an die Hauptbahn an oder verbindet sie sogar zwei Hauptbahnen mit einander, so wird die Einführung des allgemeinen Tarifsystems und der allgemeinen Tarifvorschriften immer die grosse Regel zu bilden haben. Denn was für den Durchlauf des Wagens spricht, das spricht auch für die durchgehende Berechnung des durchlaufenden Wagens.
Neben dieser Regel können aber auch Fälle vorkommen, wo auch die normalspurige Sekundärbahn trotz des direkten Anschlusses an die Hauptbahn doch mehr den Charakter einer blossen Zweiggleisanlage trägt und aus diesem Grunde die Annahme des komplizirten allgemeinen Tarifsystem: nicht angezeigt erscheint. Für solche Fälle sowie auch dann, wenn ein direkter Anschluss an die Hauptbahn nicht besteht, noch auch zu erwarten ist, ist die Frage betreffs Annahme des Tarifsystems je nach den Verhältnissen des einzelnen Falles zu entscheiden.
Anders gestaltet sich die Frage bei schmalspurigen Sekundärbahnen, da hier – wie erwähnt – Wagen von 10 000 kg Tragkraft, wie solche das Tarifsystem der Hauptbahn voraussetzt, nicht vorhanden sind, und wo dies ausnahmsweise der Fall sein sollte, doch nicht auf eigenen Rädern auf die Hauptbahn übergehen können. Hier ist also die Annahme eines abweichenden Tarifsystems geboten und zwar ist die Entscheidung über die Natur dieses Tarifschemas sowie namentlich auch über die Höhe der einzurechnenden Einheitssätze in noch höherem Masse als sonst von den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles abhängig zu machen. Als allgemeines Erforderniss ist nur aufzustellen, dass das zu wählende Schema einerseits thunlichst einfach, andererseits aber mit Rücksicht auf die Beziehungen zur Hauptbahn mit dem allgemeinen Tarifschema unschwer vereinbar sei. Aus diesem
Walter Ledig, Ferdinand Ulbricht: Die Sekundär-Eisenbahnen des Königreichs Sachsen. Druck von H. S. Hermann, Berlin 1886, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sekund%C3%A4r-Eisenbahnen_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen.pdf/71&oldid=- (Version vom 20.3.2025)