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Seite:Die Sage-Karl Wehrhan-1908.djvu/63

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in den religiösen und sonstigen Anschauungen, in den Sitten, Gebräuchen und Überlieferungen weit auseinanderliegender Völker und Stämme nicht etwa auf irgend welche verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den betreffenden Menschengruppen zurückzuführen sei, sondern vielmehr darauf beruhe, daß mit eiserner Notwendigkeit, wie die Pflanze je nach den Phasen des Wachstums Zellgänge oder Milchgefäße bildet, Blätter hervortreibt oder Blüten entfaltet, so auch zufolge den die Entwickelung der Menschengattung beherrschenden Gesetzen gewissen Lebensbedingungen und äußeren Verhältnissen gewisse mythologische Erscheinungen entsprechen[1].

Von den vielen Parallelen, die zwischen diesen und jenen Völkern in mythologischer Beziehung aufgestellt wurden, und die alle eine gemeinsame Urmythologie nachweisen wollten und auch gefunden zu haben vermeinten, und in denen man besonders einen indogermanischen Götterglauben glaubte erschlossen zu haben, hat sich auch nach den neueren Forschungen fast keine einzige als haltbar erwiesen. Die Sagen- und Mythenzüge sind so viele und ihre historische Entwickelung ist meistens eine noch so zweifelhafte, daß allgemeine Folgerungen gewagt sind. Nur der langjährige Forscher und Fachmann auf dem Gebiete der Mythologie kann hier maßgebend sein. Es ist noch immer notwendig, mehr Stoff herbeizuschaffen, zu sammeln und festzuhalten, was noch zu retten ist. Zu bedauern ist, daß schon so manche Perle des alten Volksglaubens im Laufe der Jahrhunderte verloren ging und wohl unrettbar verloren bleibt.

Von Karl dem Großen berichtet eine alte Chronik, er habe durch seine Schreibermönche all die alten Sagen und Lieder der deutschen Volksstämme niederschreiben und sammeln lassen – was für eine unschätzbare Fundgrube würden wir heute für Wissenschaft und Volksleben daran haben! – aber plötzlich sei ein Brausen entstanden, die Mauern erzitterten und helle Glut loderte zum Himmel. All die Lieder voll vom reinsten Sagengold, in vielen Jahren gesammelt, ergriff der Feuerkreis von Wodans wildem Heer, und eine Stimme voll Wehklagen rief: „Du hast unser Volk erschlagen, das freie Gericht der Sachsen vernichtet, uns aber sollst du ewig nicht in deinem Joche bannen!“ – Wir wissen allerdings,


  1. Ad. Bastian, zitiert nach Jakob Mähly, a. a. O.
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Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)