Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Wie natürlich ergiebt sich das Herbeieilen Gretchen’s auf den ersten Hülferuf, der Zuruf Martha’s an Valentin aus ihrem Garten, das Arrangement der umstehenden Gruppen und der hieran sich sofort anschließende Gottesdienst im Dome, für welchen wir den Priester mit Ministranten bereits auf der vor der Kirche liegenden oberen Straße erblicken.
Von größtem Gewinne jedoch zeigt sich die Faust-Einrichtung als Mysterium und Devrient’s Bühnenbearbeitung im zweiten Theile des Gedichtes. In diesem giebt es jetzt nur volle Acte und eine zusammenhängende Folge der Scenen, welche es selbst den naivsten Laien ermöglicht, den rothen Faden des Inhalts durchweg festzuhalten. Zu einer Darlegung des Scenenganges ist hier nicht der Raum, es sei nur noch erwähnt, daß alle Scenen, die in der kaiserlichen Pfalz spielen, wie jene der classischen Walpurgisnacht zu je einem Arte zusammengefaßt und so, ein folgerecht gegliedertes Ganzes, in ihrer Gestaltung überall interessirend, in ihrem gedrängten Inhalt spannend und bühnenwirksam sind.
Unsere zweite Illustration (S. 673) zeigt uns den Schluß des ersten Actes. Auf des Kaisers Verlangen hat Faust als Geistermeisterstück Helena und Paris aus der Unterwelt heraufgezaubert und führt diese nun im Schauspiel vor. Der obere Banketsaal hat sich hinter dem geschlossenen Vorhange in einen antiken Palast verwandelt und bildet den Schauplatz des Spiels. Im Halbkreise sitzt unten der Hof, die Vorstellung glossirend. Mephisto steht links auf der Treppe oben. Faust ihm gegenüber. Es ist der Moment aufgefaßt, wo Faust hingerissen von Helena’s Erscheinung, beschließt, das Dunstbild durch die Kraft des Schlüssels, den er von den Müttern der Tiefe geholt, zum körperlichen Wesen zu gestalten.
Die Leipziger Bühne hatte sich die Faust-Aufführungen zu einer Ehrensache gemacht und stattete das Werk scenisch und decorativ völlig neu und auf das Glänzendste aus. Es fehlte nicht das große und kleine Himmelslicht, es wimmelten die Straßen in den Volksscenen von malerischen Gruppen, unter denen namentlich die Landsknechte durch historisch treue, effectvolle Costüme auffielen. Herr Director Max Staegemann bewies mit der Vorführung des größten deutschen Dichtwerkes, daß er seine Mission als Leiter der Leipziger Bühnen in echt künstlerischem Sinne erfaßt hat und durchzuführen gedenkt.
Dafür sprach auch die bis in die kleinsten Rollen vorzügliche Besetzung des Werkes, für welche das gesammte Opernpersonal zugezogen war. – Otto Devrient gastirte in dem ersten Cyclus der Aufführungen als Mephisto und erntete als Bearbeiter und Darsteller doppelten Lorbeer.[1]
Goethe’s großes Werk lebt fortan nicht mehr im Buche allein, der großen Menge verschlossen, es steht lebendig, verkörpert vor uns und mit dem Fortschreiten der Kunst wird es uns im ganzen Glanze seiner ewigen Schönheit voll und uneingeschränkt erstehen. Hierfür gebührt dem rastlos strebenden Künstler Otto Devrient, wie dem kunstfördernden Director des Leipziger Stadttheaters, Kammersänger Max Staegemann, und seinem Oberregisseur, Ernst Gettke, nicht wen der volle Dank des Leipziger Publicums, sondern auch ein anerkennendes Wort der nationalen Kunstwelt. –
„Heilige Poesie,
Himmelan steige sie,
Glänze, der schönste Stern,
Fern und so weiter fern!
Und sie erreicht uns doch
Immer, man hört sie noch,
Vernimmt sie gern!“
singt der Chor zu Euphorion’s Leyer, des Sohnes Faust’s und der Helena, dessen Bild unsere Titelvignette (S. 671) bringt.
Eine Romanbibliothek. Unser Blatt ist so glücklich gewesen, im Laufe der Jahre eine Reihe verschiedenartiger Erzählungen darbieten zu können, die seit ihrem ersten Erscheinen in seinen Spalten zu den werth- und wirkungsvollsten Erzeugnissen deutscher Novellistik gerechnet werden. Es ist Thatsache, daß viele derselben eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Theilnahme erregt, Berühmtheit erlangt und sich dauernd in der Gunst unzähliger Leser erhalten haben. Der Plan, die besten dieser beliebten, weit und breit als musterhaft anerkannten Schöpfungen in einer leichter zugänglichen Sammlung, einer „Romanbibliothek der ‚Gartenlaube‘“, zu vereinigen, bedarf daher wohl kaum einer besonderen Erklärung und Befürwortung. Wissen wir doch aus eigener Wahrnehmung, daß der Gedanke vom Publicum aus angeregt wurde und die Verlagsfirma mit der Ausführung endlich einem Wunsche, einem oft ihr nahegelegten Verlangen großer deutscher Kreise des In- und Auslandes entgegen kommen will. Die ausgesandte Ankündigung zeigt den Charakter, den Umfang, die Begrenzung des Unternehmens. Dasselbe beschränkt sich auf die mit dem Aufgang Marlitt’s eingeleitete Epoche und konnte nicht bezeichneter eröffnet werden, als durch die Geschichte des blondhaarigen Mädchens, jenes einst so zauberhaft wirkende dichterische Gebilde, das in den beängstigenden Kriegsstürmen des Sommers 1866 plötzlich vor den Augen der Nation aufstieg und überraschendes Entzücken, wohlthuende Erfrischung, einen warmen Strahl erhebender Freude und sänftigenden Friedens in Tausende von Seelen strahlte. Mit „Goldelse“ und dem darauf folgenden „Geheimniß der alten Mamsell“ hat E. Marlitt nicht blos ihren Ruhmesweg, ihre eigene glanzvolle Laufbahn betreten, sondern auch entschieden den Anstoß zu einer neuen Aera des Volks- und Frauenromans gegeben. Sie hat sichtlich Schule gemacht und verwandte Talente erweckt, sodaß sich der Einfluß ihrer stil- und stimmungsvollen, mächtig fesselnden und ergreifenden Schilderungsweise, der anmuthsinnigen Poesie, des volksthümlich-freisinnigen, sittlich edlen Gehalts ihrer Darstellungen in einer Reihe von selbstständig schaffenden Nachfolgerinnen deutlich erkennen läßt.
Mit vollem Rechte werden also die sämmtlichen bereits in einer erheblichen Zahl starker Auflagen verbreiteten und doch unablässig von Neuem begehrten Romane der verehrten Meisterin, von „Goldelse“ bis zu „Amtmanns Magd“ in der neuen Sammlung erscheinen. Ferner wird die Bibliothek die gleichfalls hochgeschätzten, durch scharfe Charakteristik, durch schwungvolle und spannende Kraft ausgezeichneten „Gartenlauben“-Romane E. Werner’s bringen, denen sich als gewiß nicht minder willkommene Collection die interessanten, von jugendfrischer Herzensinnigkeit durchhauchten Gestaltungen W. Heimburg’s anschließen werden. Mannigfaltiges, in einem Wechsel von namhaften Einzelwerken verschiedener Autoren, die den Lesern der „Gartenlaube“ seit lange durch bedeutsame Leistungen rühmlich bekannt und vertraut geworden sind, reiht sich zwischen die Werke der genannten Erzählerinnen; so Amelie Godin’s gemüthvolles und elegant gezeichnetes Familiengemälde „Mutter und Sohn“, Frau von Hillern’s eigenartig geistsprühendes, voll modernen Ideenstürmen bewegtes Lebensbild „Aus eigener Kraft“, ferner die kleineren, durch leidenschaftliche Gluth und düstere Tragik erschütternden Novellen der unglücklichen E. Werber und endlich eine Leistung ganz anderer Art: G. v. Meyern’s eindrucksvoller Roman „Teuerdank’s Brautfahrt“, dieses ebenso großartig gedachte als herrlich ausgeführte Kleinod historisch-poetischer Schilderung, ein Meisterstück des leider zu früh hingegangenen Dichters. Eine hinlängliche Fülle also von erprobter Schönheit, von Geistesglanz und Herzensgenuß für die Hausbibliotheken deutscher Familien und zur Beruhigung der zahlreichen Familienväter, denen unter den heutigen Verhältnissen literarischer Production an einer bildenden, erhebenden, von reinem und edlem Sinne getragenen und doch einem gewissen philiströsen Genre sich fernhaltenden Unterhaltungslectüre für ihre Frauen und Töchter gelegen ist. Die Anschaffung der ganzen Bibliothek ist durch den gestellten Preis und die terminweise Ausgabe der Lieferungen wesentlich erleichtert. Die bereits erschienenen Lieferungen zeigen das handliche Format und die nicht luxuriöse, aber solid elegante Ausstattung der Sammlung.
E. Marlitt’s Erzählungen: Goldelse. – Das Geheimniß der alten Mamsell. – Die zweite Frau. – Haideprinzeßchen. – Reichsgräfin Gisela. – Thüringer Erzählungen (Inhalt: Die zwölf Apostel, Blaubart). – Im Hause des Commerzienraths. – Im Schillingshof. – Amtmanns Magd.
E. Werner’s Erzählungen: Am Altar. – Gartenlaubenblüthen (Inhalt: Ein Held der Feder, Hermann.). – Gesprengte Fesseln. – Glück auf. – Um hohen Preis. – Vineta. – Frühlingsboten.
W. Heimburg’s Erzählungen: Aus dem Leben meiner alten Freundin. – Lumpenmüllers Lieschen. – Kloster Wendhusen.
A. Godin, Mutter und Sohn. – W. von Hillern, Aus eigener Kraft. – G. von Meyern, Teuerdank’s Brautfahrt. – E. Werber, Feuerseelen (Inhalt: Der Aerolith, Eine Leidenschaft, Ein Meteor, Der canadische Achilles, Charlotte Venloo, Pater Gregor).
- Alle soliden Buchhandlungen Deutschlands, Oesterreich-Ungarns, der Schweiz und des Auslandes nehmen Bestellungen an und können eine Probelieferung zur Einsicht vorlegen.
Inhalt: Die Braut in Trauer. Von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 661. – Der zweite deutsche Bergmannstag. Von Theodor Gampe. S. 664. Mit Illustrationen von Paul Hendel. S. 664, 665 und 668. – Der französische Hermann. Von Dr. Karl Seldner. S. 667. Mit Abbildungen. S. 669. – Dann geh’ zu ihr. Gedicht von Albert Traeger. S. 670. – Die Sage von Doctor Faust. Von Fr. Helbig. I. S. 671. Mit Illustrationen von E. Limmer. S. 671, 672 und 673. – Blätter und Blüthen: Faust als Mysterium auf der Bühne des Leipziger Stadttheaters. S. 675. – Eine Romanbibliothek. S. 676.
- ↑ Sein Portrait wird eine der nächsten Nummern unseres Blattes schmücken. D. Red.
Anmerkungen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_676.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)