Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1882) 415.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

im Großen und Ganzen ihre Mission erfüllt; Kuranda verkaufte sie daher an Gustav Freytag und eilte nach Wien, um sich dort der Bewegung anzuschließen.

Der neue Besitzer streifte ihnen den specifisch österreichischen Charakter ab, zog das gesammte Culturleben in den Kreis ihrer Besprechungen und schlug dabei einen gemäßigt liberalen Ton an. Im Jahre 1870 überließ er in Folge eines Conflictes mit dem Verleger Grunow diesem die Zeitschrift und gründete „Im neuen Reich“, das aber bereits 1881 wieder einging. Die „Grenzboten“ machten unterdessen verschiedene Wandelungen durch und sind schließlich ein Blatt mit conservativen Tendenzen geworden, das nun – was den alten Freunden der grünen Hefte wunderlich genug vorkommt – mit seinem Kometenmann und dessen Genossen allwöchentlich kecklich den Liberalen die Leviten liest.

Die neue Zeit, welche nach den Stürmen von 1848 anbrach, machte sich also auch in der Journalliteratur geltend; sie nahm den alten Zeitschriften, sofern sie überhaupt noch erschienen, ihre Bedeutung und erzeugte damit das Bedürfniß nach neuen, die dem neuen Geschmacke, dem neuen Denken und Empfinden besser zu entsprechen vermöchten.

Im großen Publicum machte sich nach den Aufregungen der Revolution der allgemeine Wunsch nach Ruhe geltend; man hatte den Tumult und das Kampfgeschrei herzlich satt und grollte sogar den Freiheitskämpen und Freiheitssängern, weil sie es offenbar gewesen seien, die mit ihrem „abgeschmackten Idealismus“, ihrer „Schönrednerei“ und ihren „Träumen von Deutschlands Einigkeit und Herrlichkeit“ nun dieses Fiasco herbeigeführt hätten. Es bildete sich die Ansicht heraus, daß man sich vor allem vor unklarer politischer Schwärmerei hüten müsse; vor den idealen Interessen seien zunächst die materiellen zu fördern; nur wohlhabende Völker, wie dies das Beispiel Englands zeige, verstünden auch wirklich frei zu sein. Darum sei vorwiegend den Naturwissenschaften, der Industrie, dem Handel, der Landwirthschaft, dem Verkehrswesen das allgemeine Interesse zuzuwenden, und die Dichtung habe nur die Mission, nach der Arbeit angenehm zu unterhalten.

Diesen neuen Ansichten und Anschauungen trug zuerst im ganzen Umfange der unternehmungslustige und intelligente Verleger George Westermann in Braunschweig Rechnung, indem er 1856 „Westermann’s Monatshefte“ in’s Leben rief. Als Vorbild dienten ihm dabei die englischen Monatsschriften und ganz besonders das amerikanische Journal „Harper’s Monthly“. Die Redaction vertraute er dem umsichtigen Adolf Glaser an, der sie sodann bis in die neueste Zeit hinein führte. Der Ton, den die „Monatshefte“ anschlugen, war ein ruhiger und schlichter. Das Gebiet der Politik wurde vollständig vermieden, dagegen wurden die Naturwissenschaften, Ethnographie, Kunst- und Culturgeschichte mit besonderer Vorliebe gepflegt; gediegene naturwissenschaftliche Artikel lieferten Schleiden, Schödler, Karl Vogt, J. H. Mädler, geschmackvolle kunstgeschichtliche Lübke, Hermann Grimm, Carrière, Riegel, interessante culturgeschichtliche Falke, Riehl, Lessing und Andere. Den meisten dieser Aufsätze waren Illustrationen beigegeben, die theils zur Erläuterung des Textes, theils als Schmuck dienten. Belletristische Beiträge brachten die „Monatshefte“ von Theodor Mügge, Otto Roquette, W. H. Riehl, Karl Frenzel, Franz Lewald, Wilhelm Raabe, später von Heyse, Storm, Schücking und Andern. Alles Tendenziöse wurde darin vermieden; man wollte nur unterhalten und anregen. Die Hefte fanden sofort bei ihrem Erscheinen allgemeine Beachtung, erwarben sich schon im ersten Jahre 5000 Abonnenten und brachten es nach und nach auf 15,000. Heute werden sie von Friedrich Spielhagen herausgegeben und von Gustav Karpeles redigirt; sie behaupten unter dieser tüchtigen Führung nach wie vor ihre alte Bedeutung und Höhe.

Ein kräftigerer Pulsschlag, als in den „Monatsheften“, regte sich alsbald in der Revue „Unsere Zeit“, die 1857 in Leipzig im Verlage von F. A. Brockhaus in’s Leben trat. Sie wurde an Stelle der „Gegenwart“, einer Art Fortsetzung des Brockhaus’schen Conversationslexicons, gegründet und trug auch selbst noch längere Zeit die Zeichen ihrer Abstammung klar an der Stirn, bis 1865 Rudolf von Gottschall die Redaction übernahm und sie von Grund aus umgestaltete. In der Ausstattung blieb sie freilich weit hinter den Westermann’schen Heften zurück; sie erschien auf ganz gewöhnlichem Druckpapier und brachte auch keine Illustrationen, aber sie trat kräftiger auf, zeigte eine entschieden liberale Gesinnung und zögerte auch nicht, einmal, wenn es ihr nöthig erschien, die ihr gesteckten Grenzen zu überschreiten. Außerdem wußte sie sich einen besonderen Reiz durch die knappen Uebersichten über die neuesten Ereignisse auf dem Gebiete der Politik, der Literatur, des Theaters, der Musik und der Länder- und Völkerkunde zu geben, die sie in jedem Hefte bot. Mit Vorliebe pflegte sie, und pflegt auch noch heute, den biographischen Essay.

Bis zum Jahre 1880 erschien die Zeitschrift zweimal im Monate, jetzt einmal, jedoch nun doppelt so stark wie früher, und außerdem bereichert durch eine Novelle. Von den Mitarbeitern sind neben dem Heransgeber Rudolf von Gottschall besonders zu nennen, für Länder- und Völkerkunde: Adolf Bastian, Hermann Vámbéry und Gerhard Rohlfs, für Literatur und Cultur: Friedrich Althaus, Feodor Wehl, Alexander Jung, Robert Waldmüller und Wilhelm Lauser, für Archäologie und Kunst: Alfred Woltmann, Ernst Curtius und Max Schasler, für Völkergeschichte: Karl Biedermann, Wilhelm Müller und Hermann Reuchlin, für Naturwissenschaften: Karl Ruß, M. J. Schleiden und W. Wundt und für Land- und Volkswirthschaft: A. Fraas und Wilhelm Hamm.

Neben „Unsere Zeit“ stellte sich bereits 1867 eine neue Revue unter dem Titel „Der Salon“. Zeigte „Unsere Zeit“ einen vorwiegend wissenschaftlichen Charakter, so präsentirte sich der „Salon“ in erster Linie als ein geistreicher Plauderer, der sich bestrebte, die elegante Welt über alles Neue, Alles, was die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, au fait zu erhalten. Jedes Monatsheft sollte die Signatur des Monats tragen, aus welchem es hervorgegangen, seine Eigenthümlichkeiten beleuchten, seine wichtigen Momente hervorheben, seine Thorheiten geißeln, sich dabei aber doch, wie der echte feine Mann der Gesellschaft, von den Fragen der specifischen Politik und der religiösen Debatte fernhalten. Als Verleger zeichnete A. H. Payne in Leipzig, als Redacteure nannten sich Ernst Dohm und Julius Rodenberg. In der Hauptsache ist sodann der „Salon“ diesem Programme auch treu geblieben, nur daß später, als Dohm und Rodenberg von der Redaction zurückgetreten waren und Franz Hirsch dieselbe 1874 übernommen hatte, sich ein mehr jovialer Ton geltend machte und auch der politischen und literarischen Satire das Wort ertheilt wurde. Neuerdings öffnete der „Salon“ auch der modernen Philosophie seine Pforten und brachte geistreiche Abhandlungen über das Kunstideal der Menschheit, über Mitgefühl und Liebe, über das Erwachen des religiösen Bewußtseins etc. von dem bekannten Verfasser der „Philosophie des Unbewußten“ Eduard von Hartmann.

In ihre neueste Phase trat die deutsche Journalliteratur nach dem Kriege von 1870. Durch die Gründung des neuen deutschen Reiches hatte das geistige Leben einen intensiven Brennpunkt in der Reichshauptstadt Berlin erhalten, und so erstanden denn auch dort alsbald rasch nach einander nicht weniger denn drei Revuen großen Stils, die „Deutsche Rundschau“, „Nord und Süd“ und die „Deutsche Revue“.

Zuerst erschien die „Deutsche Rundschau“ auf dem Plane im Herbste 1874. Sie legte den Schwerpunkt auf den nationalen Charakter.

„Wir erachten es für nothwendig,“ hieß es in dem ersten Prospecte, den die Verleger Gebrüder Paetel und der Herausgeber Julius Rodenberg versandten, „an dieser Stelle zu betonen, daß die ,Deutsche Rundschau‘ keine andere Tendenz verfolgen wird, als diejenige, deutsch zu sein. Sie wird das deutsche Element hegen und pflegen, wo immer es sich findet; sie wird, indem sie die außerordentliche Mannigfaltigkeit des deutschen Wesens, seine Unterschiede, selbst Gegensätze würdigt und mit aller Achtung vor den localen und historischen Eigenthümlichkeiten, aus denen jenes sich zusammensetzt, bestrebt sein, so viel an ihr liegt, bestehende Vorurtheile zu beseitigen, freundliche Annäherung, gegenseitiges Verständniß zu vermitteln und in freudiger, frischer Gemeinsamkeit den Zusammenhang des deutschen Geistes- und Gemüthslebens in seinem vollen Umfange aufrecht zu erhalten und zu stärken.“

Mit dieser ausgesprochen nationalen Grundstimmung erwarb sie sich sofort die wärmsten Sympathien ganz Deutschlands, und als sie mit strengem Ernste fort und fort bemüht war, jederzeit das richtigste und vollständigste Totalbild von dem zu geben, was der deutsche Geist überhaupt ist und vermag, wurde sie sehr bald nun wirklich das, was zu sein sie von Anfang an bestrebt war: ein repräsentatives Organ der gesammten deutschen Culturbestrebungen. Die bedeutendsten Männer der deutschen Wissenschaft, ein Virchow, Dubois-Reymond, Helmholtz, Preyer, Sybel, Hettner und Andere, die gefeiertesten Dichter und Dichterinnen, ein Storm, Auerbach,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_415.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2024)