Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Zur Geschichte der Socialdemokratie. Im Anfange dieses Jahres, unmittelbar vor den Reichstagswahlen, erschien inmitten der hochwogenden socialistischen Agitationen Franz Mehring’s bedeutsame Schrift „Zur Geschichte der deutschen Socialdemokratie“. Das Büchlein kam damals zu spät, um noch einen gründlichen Einfluß auf die Wahlbewegung zu gewinnen, aber es fand schnell einen so großen Leserkreis, daß bereits nach sechs Wochen kein Exemplar mehr im Buchhandel zu haben war. Unzweifelhaft bekundete sich hierin ein starkes Bedürfniß des Publicums nach Aufklärung und Belehrung über den Gegenstand, und diese Theilnahme spornte den Verfasser an, sein Thema von Neuem aufzunehmen, das heißt statt der vielfach gewünschten zweiten Auflage eine neue und möglichst erschöpfende Bearbeitung des Stoffes zu bieten. So ist aus der ursprünglichen Skizze ein ausführliches Gemälde, aus der Broschüre ein zweihundertdreißig Seiten umfassendes Buch geworden, das unter dem Titel „Die deutsche Socialdemokratie, ihre Geschichte und Lehre“ soeben in Bremen (bei Schünemann daselbst) erschienen ist. Wir glauben nur eine Pflicht zu erfüllen und Unzähligen unserer Leser einen Dienst zu erweisen, wenn wir die Aufmerksamkeit auf diese Arbeit lenken, die, unserem Urteile nach, zu dem Besten und Wirksamsten gehört, was bisher im Verlaufe eines langen und immer heftiger sich gestaltenden Streites über die Socialdemokratie geschrieben wurde.
Mehring’s Buch zeichnet sich vor anderen nicht blos durch Gemeinverständlichkeit und bündige Uebersichtlichkeit aus, nicht blos durch die Schönheit der Sprache und den Glanz seiner stil- und schwungvollen Darstellung, der eigentlich fesselnde Kern des Ganzen ist vielmehr die hier überaus glücklich erreichte Vereinigung schildernder Lebendigkeit mit der kritischen Schärfe eingehender wissenschaftlicher Untersuchung. Durch die Erzählung ihres Ursprungs, ihrer Verläufe und Entwickelungen, durch die brillant gezeichneten Charakterbilder ihrer verschiedenen Propheten und Apostel werden wir zu tieferer Erkenntniß dieser Bewegung und ihres innersten Wesens geführt. Dies geschieht in dem ersten Abschnitt, während der zweite Theil eine Reihe von theoretischen Erörterungen der wichtigsten einschlagenden Fragen bietet, zusammen neun verschiedene Abhandlungen, unter denen sich Meisterstücke kritischen Scharfsinns befinden. Der Standpunkt des Verfassers ist ein leidenschaftsloser; durchweg erhalten die Leser den Eindruck eines zwar schneidig zugespitzten, aber gerechten, auf ernster Prüfung beruhenden, von leerer Declamation und landläufiger Verdammungsphrase sich fernhaltenden Urtheils. Vertrauen zu den gebotenen Mittheilungen auch muß es erwecken, daß Mehring früher ein Vertheidiger der hier von ihm geschilderten Partei gewesen, bis er erkannte, daß sein Glaube an ihre Entwickelungsfähigkeit ein Irrthum war, daß „die Gedanken des modernen Communismus und des modernen Staats sich scheiden wie Feuer und Wasser“. Er selbst sagt von seinem Buche: „Vielleicht ist es geeignet, jungen und schwärmerischen Gemüthern die lange Reihe bitterer und schmerzlicher Erfahrungen zu ersparen, durch welche ich mich zur völligen Klarheit über die gleißenden Phantasmagorien des Socialismus hindurchringen mußte.“ (Der Preis des Buches ist nur 4 Mark.)
Audiatur et altera pars. Zur Berichtigung des in Nr. 16 der „Gartenlaube“ 1877, Seite 264 bis 267 befindlichen Aufsatzes „Wilhelm von Humboldt's Freundin, authentische Mittheilungen von ihrem Neffen Chr. Fr. Melm“, möge folgender, im Originale mir vorliegender Consistorial-Bescheid dienen.
Wird nunmehr die Ehe quoad vinculum getrennt, dem Kläger sich anderwärts zu verheirathen gestattet, der Beklagtin aber dieses ausdrücklich untersagt und dieselbe in alle durch diesen Proceß verursachte Kosten fällig verurtheilt. V. R. w. Publ.
Cassel, den 21. Februar 1794.“
Der Verfasser des oben erwähnten Aufsatzes wird hieraus sich überzeugen, wer der schuldige Theil, wer der Kläger und wer die Beklagte in diesem Ehescheidungsprocesse gewesen ist, auch ob die schonungslosen, theils unwahren Aeußerungen über den am 6. Mai 1840 hierselbst verstorbenen, unter seinen Mitbürgern beliebten und in gutem Rufe gestandenen Rath Dr. Diede auf Wahrheit begründet waren, und ob es nicht geboten gewesen, die veraltete Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, statt sie in einem so viel gelesenen Blatte, wie die „Gartenlaube“, zu veröffentlichen.
Die Pietät, deren sich der Verfasser jenes Aufsatzes gegen seine seit langer Zeit hingegangene Tante rühmt und die er als Bestimmungsgrund der Veröffentlichung anführt, möchte sich übrigens in keiner Weise bethätigt haben, indem insbesondere das Verhältniß, in welchem die verstorbene Tante zu einem nun auch längst verstorbenen Lieutenant v. H. gestanden, der Erwähnung nicht bedurft hätte und, wenn ein solches bestanden haben sollte, ebenwohl der Vergessenheit hingegeben, hätte unberührt bleiben können. Berühren will ich aber noch zur Belehrung des Neffen der Verstorbenen, daß in den von der Hand des verstorbenen Diede niedergeschriebenen Notizen vom 1. Februar 1794 bemerkt ist: „den 1. Februar 1794 mußte sich diese Frau, welche sich der unedlen Liebe zu einem verrätherischen Freunde ergeben und die Pflichten der ehelichen Liebe sowohl als häuslichen Treue und Sittlichkeit übertreten, auf immer von mir trennen und ward den 21. Februar d. Cons.-Bescheid von mir geschieden.“
Uebrigens will ich noch bemerken, daß nach eingezogener Erkundigung die betreffenden Ehescheidungsacten längst vernichtet worden sind.
Kassel, im Mai 1877.
Noch eine Erinnerung an 1870. Als im Jahre 1870 die deutschen Arbeiter in Paris vertrieben wurden, hatte sich, wie anderswo, auch in Zürich ein Arbeitercomité gebildet, das die armen Vertriebenen an der Grenze in Empfang nahm, sie in Zürich pflegte und sie dann weiter in die deutsche Heimath beförderte. Zu jener Zeit brachte unser alter Mitarbeiter Temme (von dem wir, nebenbei gesagt, in nächster Zeit wieder einen größeren Beitrag veröffentlichen werden) eines Morgens einen Brief zur Post. Während er am Schalter warten mußte, hatte sich auf einmal still ein Haufen Menschen hinter ihm aufgestellt. Als er seine Briefe abgegeben hatte und sich zum Gehen umwandte, sah er fünfundzwanzig bis dreißig Menschen vor sich, ihm sämmtlich unbekannt, tüchtige Gestalten, brave deutsche Gesichter. Einer von ihnen trat vor; er gab sich ihm als ein deutscher Arbeiter in Zürich zu erkennen, der von dem Comité dort den Auftrag habe, seine Begleiter – aus Paris vertriebene deutsche Arbeiter – in der Stadt umherzuführen. Da habe er Temme gesehen und seine Freunde auf ihn aufmerksam gemacht. Und Alle hatten verlangt, ihn zu begrüßen.
So waren sie ihm gefolgt und hatten gewartet, bis er an dem Postschalter fertig war. Temme blieb überrascht stehen. Als das Comitémitglied ausgesprochen, kamen die Leute Mann für Mann an den allen Herrn heran, gaben ihm die Hand und sagten: den Temme von der „Gartenlaube“ hätten sie begrüßen müssen; sie hätten Alles von ihm gelesen – Alles, Alles, versicherten sie. Ob diese unerwartete Huldigung unserem alten Freunde nicht mehr Freude bereitet hat, als etwa ein – Bändchen im Knopfloch?
Friedrich von Baden. Wenn wir unter Anknüpfung an das Regierungsjubiläum des Großherzogs von Baden (24. April dieses Jahres) in Nr. 18 unserem Festartikel ein aus dem Jahre 1863 stammendes Portrait des Gefeierten beifügten, so geschah dies, wie wir gleichzeitig
erklärten, weil sich im Drange der Zeit ein Bildniß des Großherzogs von neuestem Datum so schnell nicht herstellen ließ. Wir erachteten es schon damals für unsere Pflicht, ein solches unsern Lesern später einmal zu bieten, und freuen uns, dies heute mit dem obenstehenden Portrait thun zu können.
Drei Kinder! Ein armer Bürgerschullehrer in Sachsen hat sieben Waisen hinterlassen, die im Alter von zwei bis sechszehn Jahren stehen, fünf Mädchen und zwei Knaben. Von diesen haben vier Mädchen Aufnahme in wohlthätigen Familien gefunden. Dagegen stehen die beiden Knaben, Alfred, neun Jahre alt, und Theobald, fünf Jahre alt, sowie die vierzehnjährige Elisabeth noch unversorgt da. Die wenigen Verwandten können sich der Kinder nicht annehmen; auch fehlen die Mittel, um sie in Pflege zu geben; sollen die wohlerzogenen und wohlgebildeten Kinder eines verdienten Lehrers als Gemeinde-Arme verkümmern? Sicherlich giebt es noch kinderlose Ehepaare genug, die ihr Herz nicht an einen Hund oder eine Katze, an einen Kanarienvogel oder einige Blumenstöcke verloren haben und denen hiermit die Gelegenheit geboten wird, ein armes Kind und mit ihm sich selbst glücklich zu machen. Wer bietet dem einen oder dem andern Waisenkinde eine neue Heimath?
Berichtigung. In einem unserer Drucksätze wurde der Flächeninhalt Montenegros irrthümlich mit „fünfundzwanzig“ (Nr. 43, Seite 722) statt mit fünfundsiebenzig Quadratmeilen angegeben.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_768.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)