verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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jene bangen Wehen einer Uebergangsperiode hatten sich in Deutschland am mächtigsten in Rahel Levin abgedrückt, deren Salon, als der erste Berlins und gefeiertste in Deutschland, sonderbarer Weise mit der französischen Revolution sich öffnete und nach der Julirevolution mit den Augen der edlen und geistvollen Frau, die ihn so glänzend erhalten hat, schloß. In diesen Salon Rahel’s, welcher dem der Frau von Staël ebenbürtig an Bedeutsamkeit war, kam Varnhagen früh genug hinein, um nicht sowohl auf ihn die geselligen Einflüsse zu üben, die er seitdem bewahrt, als auch eine Liebe zu Rahel selber zu erwecken, die ihn anspornte, nach dem Besitz jenes hervorragenden Wesens zu ringen, den er auch im Jahre 1814 erreichte.
Außer dem Reiz der Liebe, der Varnhagen in dem Salon Rahel’s fesselte, vermochte er auch dort in das reichste Leben zu blicken, welches jemals sich in Hinsicht äußerer Verhältnisse und inneren Gehalts auf einen Punkt zusammengedrängt hatte. Prinz Louis Ferdinand von Preußen, dies Bild geistvoller Ritterlichkeit, belebte den Salon der mit ihm innig befreundeten Rahel und hatte dort seine reinsten Empfindungen, sein innigstes Streben und Denken genährt. Männer, wie der feine, lebensgenußsüchtige, diplomatische Gentz, Friedrich Schlegel und beide Humboldt waren diesem Kreise beeifert zugethan, der sich immer ergänzend und erneuernd, einen unendlich weiten Cirkel von berühmten Geistern umschloß, in dem sich fast alle hervorragenden Größen jener Zeit, Fürsten wie Diplomaten, Gelehrte, Künstler, Dichter und Schriftsteller bewegten: eine herrliche Bildergallerie von Männern und Frauen, durch welche Varnhagen unter lebensprühenden Erklärungen geleitet wurde und welche er in seinen später (1824–30) erschienenen „Biographischen Denkmalen“, in seinen „Denkwürdigkeiten“ (1837–42) und in der „Gallerie von Bildnissen in Rahel’s Umgang“, sowie in vielen meisterhaften Biographien gezeichnet hat.
Varnhagen’s Talent persönlicher Verbindungen und Anknüpfungen, welches ihn schon vor der Vermahlung mit Rahel mit fast allen literarischen und geistigen Strömungen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in Berührung brachte, wurde denn auch die bestimmende Potenz für alle seine Leistungen. Von Natur aus mit einem feinen diplomatischen Charakter begünstigt, wie er selten deutschen Naturen eigen ist, neigte er, wie es damals eine Tugend des gebildeten Adels war, auch zur Literatur hin und debütirte als Lyriker durch Herausgabe des „Musenalmanachs“ (1804–6), in Verbindung mit Hitzig, Chamisso, Theremin und Anderen. Auch schrieb er um dieselbe Zeit, nach Goethe’s Prosa-Vorbild und in dem damals Mode gewordenen Wilhelm Meister-Ton, mit Wilhelm Neumann zusammen den Roman „Karl’s Versuche und Hindernisse“ (1808). Gleichzeitig mußten seine Verbindungen mit A. W. von Schlegel, mit Fichte, Schleiermacher, Wolf und Steffens eine heilsame Einwirkung auf ihn ausüben.
Die Laufbahn seines Lebens begann damit, daß er aus Haß gegen den französischen Kaiser und den Unterdrücker seines in Schmach daliegenden Deutschlands, im Jahre 1809 als österreichischer Officier den österreichischen Feldzug gegen Napoleon mitmachte, 1813 aber als russischer Hauptmann der Adjutant Tettenborn’s wurde, dessen Freundschaft für ihn ihm wieder einen neuen Kreis glänzender Bekanntschaften eröffnete. Mitten in diesen Kriegsereignissen, welche die deutsche Nation mit so großer Liebe und so unendlichen Opfern führte, begann Varnhagen sein diplomatisches Talent durch die „Geschichte der Hamburger Ereignisse“ (1813) und die „Geschichte der Kriegszüge Tettenborn’s“ (1814) geltend zu machen. Vom Fürsten Metternich begünstigt, der ihn zur Anstellung im preußischen Staatsdienst empfahl, ging er, kurz nach seiner Vermählung mit Rahel, 1814 in Begleitung des Fürsten Hardenberg zum Congresse nach Wien, der bekanntlich tanzte, aber nicht ging – le congrès danse bien, mais il ne marche pas!
Varnhagen von Ense benutzte später besonders seine Stellung als Ministerresident in Carlsruhe, welches gewissermaßen eben so wie das nahe Baden-Baden noch einmal einen glänzenden Hof aller damaligen diplomatischen und militairischen Größen abhielt, um der deutschen Diplomatie eine eben so nationale, wie liberale Richtung zu geben. Natürlich mußten dergleichen Bestrebungen mit dem immer fester und ausgedehnter sich bildenden Regime der Reaction ihn in mannichfache Conflicte bringen; besonders da, trotz seiner diplomatischen Zurückhaltung, seine geheime Wirkung in der Presse zur Belebung und Erhebung des deutschen Nationalgefühls eine eben so bedeutende, als ungern gesehene war. So entsagte denn Varnhagen gern einem Staatsdienste, der seine Beamten zur Verleugnung der Grundsätze bewegen wollte, die einige Jahre vorher der Nation zum Mittel der Begeisterung für die Sache des Vaterlandes selber gelehrt worden waren, und für deren erhoffte und versprochene Ausführung das Volk seine gigantischen Kämpfe unternommen hatte. Im Jahre 1819 nahm Varnhagen als Geheimer Legationsrath seinen Abschied, um neue und glänzende Erfolge in der rein literarischen Laufbahn anzustreben, und im Verein mit seiner Gemahlin Rahel in seinem Salon in der Mauerstraße Berlins die Koryphäen der neuen Ideen und des jungen Deutschlands zu versammeln.
Das junge Deutschland bezeichnet recht eigentlich den Kreis, in welchem Varnhagen seine literarische Stellung nahm; Bettina von Arnim, Fürst Pückler-Muskau und Heinrich Heine hielten dort um ihn ihren Hof, dem sich manche französische Geister, wie der Marquis de Custine, Oelsner und andererseits Hegel und Gans verwandt fühlten. Varnhagen von Ense selber gewann nach mehreren Novellen, die er veröffentlichte und von denen die „deutschen Erzählungen“ (1815) am bekanntesten sind, eine dauernde Vorliebe für Biographien, deren Abfassung ihn denn auch zu dem größten und gefeiertsten Biographen Deutschlands gemacht hat. Eine große Gallerie von Bildnissen hat seine Feder der deutschen Nation gegeben, und sie ist stolz darauf; der alte Dörflinger, Blücher, Canitz, Zinzendorf; ferner die größeren Lebensbeschreibungen von Benjamin Erhard (1830), des Generals Seydlitz, Winterfeld, Grafen von Schwerin, Keith; der Königin Sophie Charlotte von Preußen, des Kriegsrath von Held, Karl Müller’s (1846) gehören zu den Meisterstücken der deutschen Literatur.
Eins der verdienstlichsten Werke, welches Varnhagen von Ense herausgab, und zwar zuerst als ein Andenken für Rahel’s Freunde, später auch für das größere Publicum, war der dreibändige Briefwechsel seiner Gattin, welche man die „Mutter des jungen Deutschlands“ und wohl mit Recht genannt hat. Unter dem Titel „Rahel, ein Buch des Andenkens für ihre Freunde“ (1833) erschien die von ihrem hinterbliebenen Gatten veranstaltete Sammlung der Briefe dieser großen, 1833 gestorbenen Frau, in denen sich der merkwürdigste Geistes- und Lebensverkehr entfaltet und der hohe, nach allem Edlen strebende und für alles Große schaffende Geist Rahel’s widerspiegelt. Dieser Briefwechsel Rahel’s mit den zahlreichen und bedeutenden Persönlichkeiten ihrer Zeit war ein herrliches Denkmal für die Verblichene, ein Arsenal ihrer kühnen und edlen Gedanken, ein Schatz, aus welchem manches Material einer großen und neuen Zukunft bereits entnommen ist. Auch ist die Theilnahme für dieses Buch, welches die tiefsten Blicke in einen genialen Frauencharakter werfen läßt, noch heute, nach fast einem Vierteljahrhundert, so groß, daß jährlich noch hundert bis hundertfünfzig Exemplare davon ihren Weg in’s Publicum finden.
Wohl ist der Gemahl dieses ausgezeichneten Weibes nach dem Tode desselben vereinsamter geworden; aber noch immer steht er mit einem ausgedehnten Geisterkreis in Verbindung, dem er still und wohlwollend seinen Rath und seine Erfahrungen mittheilt. Noch immer bewohnt der jetzt mit weißem Silberhaar bekränzte Greis jene Wohnung, in der einst er und Rahel so viele der größten Geister versammelten; es scheint, als habe die Pietät nichts in jener Wohnung verändert, so deutlich sieht man die Zeichen von Rahel’s Wirksamkeit noch in den traulich möblirten Zimmern. Beim Eintritt in die Wohnung empfängt den Besucher ein hohes Bibliothekzimmer, dessen Bücher, meist in altem Einband, bis in die Mitte des Gemaches im Regal reichen. In den anstoßenden Wohnzimmern, welche jetzt außer dem alten Herrn seine Nichte und eine alte Hausfrau inne haben, sieht man noch Manches, von dem Rahel in ihren Briefen spricht, die Bilder Goethe’s, Rahel’s und anderer Personen ihrer Zeit; dann die Bücher der jungen Generation in Maroquin und Goldschnitt, sorgsam auf einer Commode und an dem Bücherregal der Wand aufgestellt, die Zeichen der Verehrung, welche der berühmte Biograph täglich noch von den jüngeren Dichtern und Schriftstellern erhält. Seitwärts vom Bibliothekzimmer ist das Arbeitscabinet Varnhagens mit großen Bücherspinden, einem kleinen Schreibpult und Spinden, in denen, sorgsam in Cartons gepackt, manche Schrift von persönlichem Interesse, manche noch ungedruckte Manuscripte, Memoiren und Briefe ruhen,
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_574.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2022)