Anonym: Edda | |
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diesen Geschwistern Verrath und großes Unheil bevorstehe, indem sie Böses von Mutter-, aber noch Schlimmeres von Vaterswegen von ihnen erwarten zu müßen glaubten, schickte Allvater die Götter, daß sie diese Kinder nähmen und zu ihm brächten. Als sie aber zu ihm kamen, warf er die Schlange in die tiefe See, welche alle Länder umgiebt, wo die Schlange zu solcher Größe erwuchs, daß sie mitten im Meer um alle Länder liegt und sich in den Schwanz beißt. Die Hel aber warf er hinab nach Niflheim und gab ihr Gewalt über neun Welten, daß sie denen Wohnungen anwiese, die zu ihr gesendet würden: solchen nämlich, die vor Alter oder an Krankheiten starben. Sie hat da eine große Wohnstätte; das Gehege umher ist außerordentlich hoch und mit mächtigen Gittern verwahrt. Ihr Saal heißt Elend, Hunger ihre Schüßel, Gier ihr Meßer, Träg (Ganglat) ihr Knecht, Langsam (Ganglöt) ihre Magd, Einsturz ihre Schwelle, ihr Bette Kümmerniss und ihr Vorhang dräuendes Unheil. Sie ist halb schwarz, halb menschenfarbig, also kenntlich genug durch grimmiges, furchtbares Aussehen.
Den Wolf erzogen die Götter bei sich und Tyr allein hatte den Muth zu ihm zu gehen und ihm zu Eßen zu geben. Und als die Götter sahen, wie sehr er jeden Tag wuchs, und alle Vorhersagungen meldeten, daß er zu ihrem Verderben bestimmt sei, da faßten die Asen den Beschluß, eine sehr starke Feßel zu machen, welche sie Läding (Leuthing) hießen. Die brachten sie dem Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Kette zu versuchen. Der Wolf hielt das Band nicht für überstark und ließ sie damit machen was sie wollten. Aber das erstemal, daß der Wolf sich streckte, brach das Band und er war frei von Läding. Darauf machten die Asen eine andere noch halbmal stärkere Feßel, die sie Droma nannten. Sie baten den Wolf, auch diese Kette zu versuchen, und sagten, er würde seiner Kraft wegen sehr berühmt werden, wenn ein so starkes Geschmeide ihn nicht halten könnte. Der Wolf bedachte, daß dieses Band viel stärker sei, daß aber auch seine Kraft gewachsen seit er das Band Läding gebrochen hatte; zugleich erwog er, daß er sich entschließen müße einige Gefahr zu bestehen, wenn er berühmt werden wolle. Er ließ sich also das Band anlegen. Als die Asen damit fertig waren, schüttelte sich der Wolf und reckte sich und schlug das Band an den Boden, daß die Stücke weit davon flogen. So brach er sich los von Droma. Das ward hernach sprichwörtlich, sich aus Läding zu lösen, oder aus Droma zu befreien, wenn von einer schwierigen Sache die Rede ist. Darnach fürchteten die Asen, daß sie den Wolf nicht würden binden können. Da schickte Allvater den Jüngling Skirnir genannt, der Freys Diener war, zu einigen Zwergen in Schwarzalfenheim, und ließ
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/276&oldid=- (Version vom 31.7.2018)