Zum Inhalt springen

Seite:Der Todesgang des armenischen Volkes.pdf/125

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihr Brot täglich vom Bäcker gekauft hatten, und nun gab es das nicht mehr. (Die Armenier backen ihr Brot meistens selbst und sorgen dafür, daß sie fürs ganze Jahr die nötigen Weizenvorräte haben.) Diese vielen Menschen unterzubringen, für ihre Gesundheit, Nahrung und Disziplin zu sorgen, waren Probleme, die uns zu schaffen machten. Mr. Narrow organisierte Komitees für diese Arbeit. Jedem irgendwie fähigen Mann wurde darin eine Rolle zugewiesen, und es zeigte sich ein wundervoller Geist der Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit. Ein Mann gab allen Weizen, den er besaß, mit Ausnahme von einem Monatsvorrat, den er für seine Familie behielt. Ein öffentlicher Backofen wurde erworben, Weizen und Mehl gekauft und verteilt, Brotmarken ausgegeben und später eine Suppenküche eröffnet. Miß Rogers und Miß Silliman sicherten sich einen täglichen Milchvorrat und ließen die Milch von ihren Schulmädchen kochen und an die kleinen Kinder verteilen. Hundertneunzig wurden auf diese Weise ernährt. Die Schuljungen betätigten sich als Schutzleute, schützten die Gebäude gegen Feuersgefahr, hielten unser Grundstück sauber, sahen nach den Kranken und verteilten Milch und Eier an Kinder und Kranke außerhalb unseres Grundstückes. Ein regelrechtes Stadtregiment wurde von den Armeniern mit Bürgermeister, Richtern und Polizisten organisiert; die Stadt war niemals so gut regiert worden. Nach Ablauf von zwei Wochen ließen uns die in der befestigten Stadt in ihrem Viertel belagerten Armenier sagen, daß sie einige von den Regierungsgebäuden erobert hätten, obgleich sie nur eine Handvoll waren und Tag und Nacht bombardiert wurden. Ungefähr 16 000 Kanonenkugeln oder Schrapnells wurden auf sie gefeuert. Die altmodischen Kugeln trafen die drei Fuß dicken Lehmmauern, ohne viel Schaden anzurichten. Mit der Zeit fielen die Mauern natürlich ein, aber es waren die oberen Mauern, und die Leute flüchteten hinter die unteren, so daß nur drei Personen ihr Leben ließen. Einige

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/125&oldid=- (Version vom 31.7.2018)