Missionaren bekannte Armenierin, deren Mann viele Monate lang im amerikanischen Hospital als Pfleger verwundeter Soldaten gedient hatte, bekam Typhus und wurde in das Hospital gebracht. Ihre alte Mutter, die zwischen 60 und 70 Jahre alt war, stand vom Krankenbett auf, um für die 7 Kinder der typhuskranken Frau zu sorgen, von denen das älteste etwa 12 Jahre alt war. Einige Tage vor der Deportation wurde der Mann der Kranken gefangen gesetzt und, ohne daß er sich etwas hätte zu schulden kommen lassen, in die Verbannung verschickt. Als das Stadtviertel, in dem sie wohnten, fortziehen mußte, verließ die typhuskranke Frau das Hospital, und ließ sich auf einen Ochsenkarren setzen, um mit ihren Kindern abzuziehen.
Als die beiden deutschen Rote-Kreuz-Schwestern am 28. Juni nach Siwas kamen, war die ganze armenische Bevölkerung bereits weggeführt, und sie hörten, daß alle getötet worden seien.
Das Wilajet Kharput zählte unter 575 300 Einwohnern 174 000 Christen, nämlich 168 000 Armenier, 5000 Syrer und 1000 Griechen. Die muhammedanische Bevölkerung setzt sich zusammen aus 180 000 schiitischen Kisilbasch, 95 000 Kurden (75 000 seßhaften und 20 000 Nomaden), 126 300 Türken.
Ende Juni und Anfang Juli, um dieselbe Zeit, zu der in den Wilajets Trapezunt, Erzerum und Siwas die allgemeine Deportation stattfand, wurde auch die Deportation der armenischen Bevölkerung der Provinz Kharput durchgeführt. In den offiziellen türkischen Communiqués wird wiederholt erklärt, daß nur aus den strategisch bedrohten Grenzgebieten Armenier deportiert worden seien. Das Wilaiet Kharput liegt völlig abseits von jedem Kriegsschauplatz mitten im Lande, in die gewaltigen Hochgebirgsketten eingebettet, die das Innere von Kleinasien fast unzugänglich
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/101&oldid=- (Version vom 31.7.2018)