aus dem fränkischen Grabfelde, der vor Jahren nach Nowa-Serajewo ausgewandert ist, und jetzt zur Erholung auf einige Zeit in Thüringen verweilt. Er tritt freiwillig in die Reihe „der hervorragenden Männer der Wissenschaft und des praktischen Lebens“ ein, und giebt, wenn ihn auch die Staatsbürger-Zeitung nicht dazu aufgefordert hat, sein Urteil in der Ritualmord-Frage ab. In dem Gutachten, das er an sie eingeschickt hat, schreibt er, es sei seine und vieler Freunde und Bekannten Überzeugung, daß die Juden zu rituellen Zwecken Nichtjuden schächten, um deren Blut zu abergläubischen, fanatisch-religiösen Zwecken zu gebrauchen. – Wissenschaftliche Studien über die Ritualmord-Frage hat mein Landsmann offenbar nicht gemacht, auch hat er nicht einmal die vermeintlichen Ritualmord-Fälle der Gegenwart genau verfolgt. Ich schließe dies daraus, daß er als Beleg für seine Überzeugung den Fall Tisza-Eszlar anführt, aber nichts davon weiß, daß nach gerichtlich genommenem Augenschein der einzige Zeuge Moritz Scharf die behauptete Abschlachtung der Esther Solymossi in der Synagoge zu Tisza-Eszlar durch das Schlüsselloch der Thüre gar nicht sehen konnte, daß Moritz Scharf im Jahre 1888 seine Aussagen zurückgenommen und bedauert hat, daß Moritz Scharf bereits im Jahre 1899 als Diamantschleifer zu Amsterdam gestorben ist. Hiervon abgesehen, giebt mein Landsmann eine Erzählung zum besten, aus der man entnehmen kann, auf welcher geschichtlichen Grundlage wohl die meisten Ritualmord-Märchen beruhen mögen. Er schreibt in seinem Gutachten: „Im Jahre 1832 wurden in meiner engeren Heimat (Unterfranken) mehrer fremde Juden von einigen Kindern dabei überrascht, wie sie im Walde an der Wallfahrtskapelle St. Ursula bei Trapstadt das Blut eines geschächteten fremden Knaben, welchen sie dahin verschleppt hatten, aus größeren Behältern in Federkiele abfüllten. Die Juden flüchteten, ließen eine große Menge gefüllter und ungefüllter Federkiele, den geschächteten Knaben und das Blut am Platze zurück. Sie flüchteten in das angrenzende sachsen-meiningensche Gebiet, wurden in Gleicherwiesen, einem Dorfe bei Römhild, nach mehreren Tagen wieder gesehen und waren dann verschwunden. Der Knabe wurde an der Stelle im Walde, wo er gefunden wurde, begraben.“
Als ich diese Erzählung gelesen hatte, war ich höchlich erstaunt,
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/65&oldid=- (Version vom 31.7.2018)