halb heidnisch war, und nachdem sein Schwiegervater auf dem Berge Garizim dem wahren Gott einen Tempel erbaut hatte, wurde Manaffe zum ersten Hohenpriester desselben im Gegensatze zu Jerusalem aufgestellt. Die Samariter hielten sich jetzt für die wahren Israeliten, und die Heilige Schrift (die Thora) stand bei ihnen im höchsten Ansehen. Dabei verfolgten die Juden und die Samariter sich mit großem Haß, hatten keine Gemeinschaft miteinander, und die Samariter wurden von den Juden nur das verworfene Volk von Sichem genannt. Die Stadt Sichem lag bekanntlich am Fuße des Berges Garizim. Wie Dr. Grätz „Geschichte der Juden, Leipzig, Oskar Leiner“, II. 2. 173 berichtet, erhielt sich diese Sekte trotz ihrer Winzigkeit bis in die Gegenwart, und noch heutzutage findet sich eine kleine samaritische Gemeinde in Nablus, dem alten Sichem, mit einem Hohenpriester, der sich rühmt, in gerader Linie von Aaron abzustammen.
Zur Zeit Christi gab es verschiedene Parteien im jüdischen Volke, die sich durch ihre religiösen und politischen Anschauungen unterschieden. Die Assidäer oder Chassidäer beobachteten auf das strengste und gewissenhafteste die gesetzlichen Vorschriften sowie die Gebräuche, die seit Esdras gleichsam als die Umzäunungen des Gesetzes, um dessen Übertretungen zu verhüten, eingeführt waren. Als Schriftkundige hatten die Chassidäer die Gerichts- und Lehrämter inne, und dadurch übten sie großen Einfluß auf das Volk und die lernbegierige Jugend aus. Eine noch strengere Richtung unter den Chassidäern nahmen die Nasiräer ein, welche des Weingenusses für eine bestimmte Zeit oder auf Lebensdauer sich enthielten. Diejenigen, welche auf Lebensdauer dem Weingenuß entsagten, und auch auf die Ehe verzichteten, zogen sich in die Einsamkeit zurück, wo sie ein gemeinschaftliches Leben wie Ordensleute führten. Die Anhänger dieser Richtung wurden Essäer genannt.
Die zahlreichste Partei, welche das höchste Ansehen beim Volke genoß und den stärksten Einfluß ausübte, war jene der Pharisäer. Das Ziel dieser Partei war die politische Unabhängigkeit des jüdischen Volkes, und das Mittel zur Erreichung dieses Zieles war die Beobachtung des göttlichen Gesetzes nach den Überlieferungen oder Vermächtnissen der Väter. Sie wurden auch die Schriftkundigen oder Gesetzlehrer genannt, und in ihren Händen lag die ganze innere Verwaltung des Staates und des Tempels.
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)