sprach nach der wunderbaren Brotvermehrung, durch die er am vorhergegangenen Tage mehrere Tausende von Menschen gesättigt hatte, von dem allerheiligsten Geheimnisse seines Fleisches und Blutes und beteuerte, daß derjenige das ewige Leben nicht erlangen werde, der sein Blut nicht genießen wolle. Als seine Zuhörer das vernahmen, sagten sie: „Diese Rede ist hart, wer kann sie hören?“ Ob sie bei dieser Gelegenheit, wie ein berühmter Schriftausleger meint, vielleicht an die Verschwörung des Catilina dachten, der etwa sechzig Jahre vor Christus die Herrschaft über Rom an sich reißen wollte, und die Gesinnungsgenossen bei der Aufnahme als Mitglieder seiner Verschwörung Blut trinken ließ, lassen wir dahingestellt sein. Wir begnügen uns mit der Feststellung der Thatsache, die uns der heilige Evangelist Johannes mit den Worten berichtet: „Von dieser Zeit an traten viele seiner Jünger zurück und wandelten nicht mehr mit ihm“ (Johan. 6). Diese einfache Thatsache zeigt uns, daß das Entsetzen der Juden vor dem Blutgenuß, ihre Angst vor demselben eine ungemein große gewesen sein muß. Unter Jüngern müssen wir uns nämlich solche Israeliten vorstellen, die schon längere Zeit mit Jesu wandelten, seine herrlichen Predigten hörten und die Wunder sahen, die er wirkte. Sie wollten aber auf einmal von ihm und seinen Predigten und seinen Wundern nichts mehr wissen, weil er ihnen die Zumutung gemacht hatte, daß sie Blut genießen sollten. Noch eine andere Thatsache läßt uns die nämliche Erfahrung machen.
In der ersten Kirchenversammlung zu Jerusalem, im Jahre 52 n. Chr., stellten die Apostel unter Eingebung des heiligen Geistes vier Gebote auf, welche die Heidenchristen ebenso wie die Judenchristen beobachten mußten. Unter diesen Geboten lautete das vierte, daß sie sich vom Blute enthalten sollten (Apstg. 15, 20). Fragen wir die Schriftausleger, warum die Apostel den Genuß des Blutes untersagten, obwohl durch das vergossene Blut Jesu Christi alles Blut gereinigt, und das alttestamentliche Verbot des Blutgenusses aufgehoben war, so weisen sie auf die Schonung hin, welche man den Judenchristen und ihrer Abneigung und Angst vor dem Blutgenusse schuldig war. Mit Recht befürchteten die Apostel, daß wohl die meisten Judenchristen vom Glauben wieder abfallen würden, und keine Juden sich mehr taufen ließen, wenn im Christentum der Blutgenuß gestattet würde.
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)