Von den Juden wird erzählt, daß sie in rasender Wut ihre Feinde zersägt, geschunden, mit ihren Häuten sich behängt, ja sogar ihr Fleisch gegessen haben. In dieser Zeit und unter diesen Leuten lebte Simon den Iochai, und unter diesen Verhältnissen schrieb er die angeführten Worte. Das muß man berücksichtigen, wenn man diesen Ausspruch recht verstehen will, der, wie schon Dr. Delitzsch bemerkte, ein Stimmungswort ist, womit aber keineswegs eine gesetzliche Vorschrift oder nur eine Erlaubnis zum Mord gegeben werden sollte. Darum hat man auch später, um alle Zweifel zu beseitigen, den eigentlich unnötigen Beisatz hinzugefügt: „Zur Zeit des Krieges.“ Wie der Ausspruch aufzufassen ist, zeigen übrigens auch noch andere ähnliche Aussprüche, die neben ihm in dem Talmud von Jerusalem sich finden, wie: „Der beste Arzt kommt in die Hölle;“ „der beste Metzger ist ein Genosse Amaleks,“ also zur Ausrottung bestimmt, „die beste Frau treibt Zauberei,“ ist also des Todes schuldig.
Es folgt noch ein anderer Ausspruch von Siomon ben Iochai, den Haneberg mit den Worten anführt: „Nach der Ansicht des Simon ben Iochai verunreinigen die Gräber der Nicht-Israeliten nicht, weil geschrieben steht (Ezech. 34, 31): „Ihr, meine Schafe, Schafe meiner Weide, ihr seid Menschen. Ihr werdet Menschen genannt, die Völker der Welt aber werden nicht Menschen, sondern Vieh geheißen.“ Zum richtigen Verständnisse dieser Talmudstelle müssen wir uns wieder an den Krieg erinnern, der zu Simons Zeit zwischen Römern und Juden mit unerhörter Grausamkeit geführt wurde. Nach dem Zeugnisse der Geschichte war damals der Boden Palästinas mit Leichen bedeckt, was wegen der strengen Vorschriften in betreff der Verunreinigung durch das Betreten von Gräbern zu großen Unzuträglichkeiten führte. Simon ben Iochai klügelte einen Ausweg aus, der an diesen Vorschriften vorbeiführen sollte, indem er sich auf die angeführte Stelle aus den Schriften des Propheten Ezechiel berief, in welcher für Mensch das hebräische Wort adam gebraucht wird. Da an anderen Stellen der Mensch im Hebräischen haadam heißt, aber dort, wo von Verunreinigung durch das Betreten der Gräber die Rede ist, nur adam steht, so erklärte Simon, Gott habe durch die Worte beim Propheten Ezechiel: „Ihr, meine Schafe, die Schafe meiner Weide, ihr seid Menschen“ die Juden als eigentliche Menschen erklärt, während die Heiden nur
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)