Welche Israeliten konnte und sollte der Israelit lieben, wenn er die hassen und vertilgen mußte, die ihn rings umgaben?“ 791.
Der auch von mir ungemein hochgeachtete Dr. Haneberg hat sicher mit diesen Worten nicht sagen wollen, daß es jedem Israeliten gestattet gewesen sei, auf eigene Faust einen Nicht-Israeliten zu töten, so daß das fünfte unter Gottes Geboten eigentlich gelautet hätte: „Du sollst keinen Juden töten.“ Der Jude durfte vielmehr nur die Nicht-Juden in den Kriegen töten, die auf Gottes Geheiß gegen sie geführt wurden, außerdem aber galt für die Juden allen Menschen gegenüber und gilt auch heute noch ebenso wie für uns das Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Wollte man aber aus den Worten, daß die Israeliten ihre Feinde hassen, dieselben bekämpfen und vertilgen sollten, den Schluß ziehen, daß es den Juden auch heute noch gestattet sei, Christen rituell zu morden, dann könnte man mit demselben Rechte sagen, daß auch die Christen sogar die eigenen Eltern und Geschwister hassen müssen und töten dürfen, wenn sie ihrem Glauben Gefahr drohen, denn Christus sagt: „Wer nicht Vater und Mutter, Brüder und Schwestern hasset, kann mein Jünger nicht sein“ (Luk. 14, 26); und daß wir Ungläubige und Irrgläubige umbringen dürfen, nachdem die Kirche gegen die Türken, die Albigenser in Frankreich und die Stedinger in Deutschland den Kreuzzug predigte. Die letztere Folgerung wäre ebenso unbegründet wie die erste.
Mein H. Recensent führt ferner die Worte Dr. Hanebergs an: „Wie die Rabbiner das Verhältnis zu den Nicht-Israeliten aufgefaßt haben, wissen wir. Der Grundsatz: Du sollst den Besten unter den Gojim (Nicht-Israeliten) töten, wie du der besten unter den Schlangen den Kopf zertreten sollst,“ wird zwar zunächst Einem Lehrer, dem Simon ben Iochai, in den Mund gelegt, aber er ist so sorgfältig verbreitet worden, daß man darin mehr als die excentrische Äußerung eines Zeugen römischer Verfolger sehen wird.“ S. 792. Zum Verständnisse dieser Talmudstelle ist folgendes zu bemerken: Der Rabbi Simon ben Iochai lebte zu jener Zeit, in welcher die Juden unter den römischen Kaisern Trajan und Hadrian so geknechtet waren und so grausam mißhandelt wurden, daß sie, fast zum Wahnsinn gebracht, endlich die Waffen ergriffen, um ihre Freiheit zu erkämpfen. Der Krieg wurde auf beiden Seiten mit unmenschlicher Grausamkeit geführt.
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)